Die schöne Rivalin
Lippenstift aus ihrer Tasche und schminkte sich dick die Lippen. Sie zog die Augenbrauen nach und strich ein wenig Farbe auf die gesenkten Lider. Sie war so vertieft in ihr Tun, daß sie ihren Vater erst bemerkte, als er hinter ihr stand und über ihre Schultern in den Spiegel blickte.
»Was soll denn das?« fragte Thomas Bruckmann verwundert. »Haben wir Karneval?«
»Wie findest du es?« fragte sie leise.
»Nicht besonders«, meinte er.
Sie ließ Wasser laufen, nahm einen Lappen und schmierte alle Farben über ihr Gesicht. Wie ein Clown, der sich abschminkt, sah sie aus. Lachend verließ Bruckmann das Bad. Welche Faxen junge Mädchen doch im Kopf haben, dachte er und ahnte nicht, wie verzweifelt Sonja in Wirklichkeit war.
»Ich bin keine angemalte Puppe!« sagte sie leise zu ihrem verschmierten Spiegelbild. »Wenn du mich nur als dein Spielzeug siehst, Mischa, dann leb wohl! Dann wollen wir uns vergessen.«
Am Abend, nach dem Essen, ging sie schon bald wieder in ihr Zimmer, legte sich auf das Bett und machte das Licht aus. Im Dunkeln starrte sie an die Decke und dachte an Mischa, der jetzt bestimmt in Düsseldorf am Tisch seines zukünftigen Schwiegervaters saß und mit ihm auf eine glückliche Zukunft anstieß. Eine Zukunft mit dieser dämlichen Ellen Sandor. Und sie, Sonja, war für alle Zeiten ausgeschlossen.
Bei diesem Gedanken erst weinte sie.
Unten im Wohnzimmer trank Thomas Bruckmann seine abendliche Flasche Wein. Da es nichts Gescheites im Fernsehen gab, keinen Krimi, kein ›Dallas‹, kein ›Denver‹ und keine ›Schwarzwaldklinik‹, las Irene Bruckmann in einer Frauenzeitschrift und ärgerte sich über die neue Mode.
»Sonja gefällt mir nicht«, sagte Bruckmann plötzlich; »seit den Ferien hat sie sich irgendwie verändert. Ob sie immer noch an diesen Michael Heideck denkt? So wie sie benimmt man sich nur, wenn man unglücklich verliebt ist.«
»Soll ich sie danach fragen?« Irene Bruckmann legte die Zeitschrift weg. »Vielleicht will sie sich mal aussprechen – obwohl es in der letzten Zeit schwer ist, über solche Dinge mit ihr zu reden. Sie gibt sich merkwürdig verschlossen.«
»Wundert dich das?« Bruckmann sog an seiner Zigarre und blies Ringe gegen die Decke. »In diesem Alter muß man sich abnabeln von den Alten. Außerdem ist sie volljährig geworden und kommt sich schon als fertige Erwachsene vor, die gleichberechtigt behandelt werden will. Im großen und ganzen verstehen wir uns ja meist recht gut – trotzdem hält sie uns im tiefsten Herzen für unverbesserliche Spießer.«
»Also, ich weiß nicht, ob man das so sehen kann. Du bist doch ihr bestes Stück.«
Bruckmann lachte. »Das war einmal, meine Liebe. Als sie klein gewesen ist, das stimmt, da waren wir ein Herz und eine Seele. Und was mich betrifft, so gilt das auch heute noch. Aber bei ihr sieht das wohl inzwischen ein bißchen anders aus. Jetzt ist ihr ein Jüngling wie Heideck wichtiger als ihr Vater.« Er trank bedächtig seinen Wein. »Morgen werde ich versuchen, mit ihr darüber zu sprechen. Schließlich ist das eine Angelegenheit, die man nicht einfach in der Luft hängen lassen kann.«
Den ganzen folgenden Tag kam Bruckmann nicht dazu, sich um seine Tochter zu kümmern. Der Antiquitätenladen war ständig überfüllt. Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß Bruckmann ein französisches Schloß ›ausgeschlachtet‹ hatte, wie der alte kunstsinnige Reeder Louis Bonkratius das respektlos nannte. Ohne eines der Stücke im Geschäft greifbar zu haben – man konnte nur Fotos der Neuerwerbungen besichtigen, da wegen der Verzögerungen durch Zoll- und Frachtformalitäten eine Lieferung erst in etwa zwei Wochen möglich war –, verkaufte der Antiquitätenhändler fast die Hälfte der Sachen aus dem Schloß.
Besonders begeistert war Louis Bonkratius von einem Krankenstuhl aus dem 18. Jahrhundert. Es war ein Möbel, das im Sitz ein großes Loch aufwies, unter dem eine Kupferkanne hing, in die der bewegungsunfähige Kranke ungeniert sein Geschäft verrichten konnte.
»Das wird mein Ehrenstuhl!« frohlockte der alte Bonkratius. »Auf dem lasse ich jeden prominenten Besucher sitzen. Und unten wird ein Volant angebracht, damit man die Pfanne nicht gleich sieht. Erst dann, wenn der Gast sich erleichtert hat und so richtig wohl fühlt, wird der Vorhang weggezogen – welch ein Spaß!«
Manche Menschen haben eine seltsame Fantasie …
Auch am Abend konnte Bruckmann nicht mit seiner Tochter sprechen, weil sie ohne
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