Die schöne Spionin
Mangel an Schliff erfrischend.
»Du kennst die Regeln, Jackham. Kein Opium, keine Huren. Wir bleiben sauber, dann bleiben wir auch im Geschäft.«
»Huren sind nichts Ungesetzliches. Sie werden von den feinen Damen Londons, die ihre Ehemänner nicht im Bett haben wollen, praktisch subventioniert.«
»Jackham, die Diskussion hatten wir bereits. Du kannst ein Varieteprogramm hereinholen, wenn die Burschen unruhig werden,
aber absolut keine Prostituierten.«
Jackham wagte nur ein leises Murren, als Simon ihn anstarrte. Dass Simon in dieser Sache jemals nachgab, lag außerhalb des Möglichen. Er hatte ein paar Schandtaten auf dem Gewissen – mehr als nur ein paar, eigentlich –, aber er weigerte sich, geschäftlich bei den Seelenverkäufern mitzuspielen.
»Warum haben Sie sich tagelang nicht hier sehen lassen, und mich den Laden allein schmeißen lassen? Mir gehört er schließlich nicht. Sondern Ihnen.«
»Geschäfte.«
»Das dachte ich mir«, meckerte Jackham. »Aber mit der Sache, die vorgestern Nacht in Mayfair gelaufen ist, hat es nichts zu tun, oder?«
Simon grummelte indifferent.
Jackhams schwarze Augen leuchteten. »Gute Arbeit, das. Des Magiers höchstpersönlich würdig, was?« Er zwinkerte Simon zu. »Erinnert mich an meine eigenen Tage auf den Hausdächern. Hab gehört, sie hätten jede Menge Diamanten erbeutet. Wissen Sie irgendwas von der Sache, Mr Rain?«
»Jackham, du weißt doch, ich plaudere nie aus der Schule.«
Simon beschloss, Jackham bei der Quartalsabrechnung ein paar Diamanten dazuzulegen, nur um ihm zu denken zu geben.
»Ich vermisse diese Zeiten wirklich«, seufzte Jackham.
Einen Augenblick lang legten sich die Schmerzensfalten in seinem Gesicht, und Simon wusste, er dachte daran, wie er selbst auf den Dächern Londons mit dem Teufel getanzt hatte, eine bloße Schattengestalt, die die sichersten Häuser um ihren Reichtum erleichtern konnte.
Ein aufregendes Leben, die Karriere eines Meisterdiebes. Aber auch ein kurzes Leben, das böse enden musste. Für manche endete es im Gefängnis, für manche am Galgen.
Bei Jackham hatte ein winziger Fehltritt auf einem rutschigen Dachsims gereicht, ihn vier Stockwerke tiefer auf das Kopfsteinpflaster zu befördern. Er war schon in seinen Dreißigern ein alter Mann, dem die zerschmetterten Knochen nicht enden wollende Schmerzen bereiteten.
Das war eine Lektion gewesen, die Simon immer achtsam im Kopf behielt. Er hätte jenen Weg vielleicht selbst beschritten, hätte der Alte Mann, der Meisterspion höchstpersönlich, ihn nicht von der Straße geholt, um Simon den Ruß abzuklopfen und ihn für den Geheimdienst auszubilden.
Als Kaminkehrer hatte er das Spionagehandwerk praktisch schon trainiert, mit all der Kletterei und der Arbeit im Dunklen. Viele junge Männer wagten einen Versuch, wenn ihre Körper dem Durchmesser der Kamine entwachsen waren.
Simon war nie ein Dieb gewesen, doch er wusste, dass Jackham das glaubte. Wenn ein maskierter, schwarz gekleideter Mann, der mitten in der Nacht den Safe eines reichen Mannes knackt, auf einen anderen maskierten, schwarz gekleideten Mann trifft, dann werden eben Schlussfolgerungen gezogen.
In jener Nacht hatte Jackham Simon großzügig angeboten, die Beute mit ihm zu teilen, wobei er erklärt hatte, dass er ausschließlich in Juwelen machte. Simon hatte die Akten aus dem Safe genommen und wegen des Geldes mit sich gerungen. Schlussendlich hatte er entschieden, dass es für seine Tarnung als Dieb unumgänglich war, das Geld zu nehmen. Abgesehen davon hielt die Regierung den Liar’s Club kurz, und die Kasse konnte ein Polster vertragen.
In jener Nacht waren sie Partner geworden. Simon suchte das Haus aus und verschaffte sich durch irgendeinen Trick oder Schmiergeld den Plan, und Jackham widmete sein Genie dem tatsächlichen, mitternächtlichen Einbruch und dem Safeknacken.
Der Liar’s Club hatte prosperiert, und Jackham hatte schnell ein Vermögen gemacht, das er genauso schnell wieder ausgegeben hatte. Als es zu dem Sturz gekommen war, hatte Simon den Club gerade von seinem Vorgänger, dem Alten Mann, übernommen. Er hatte Jackham gesagt, dass er sich gleichfalls aus dem Geschäft zurückziehe und einen Manager für den Club suche, den er »gekauft« habe.
Es war nicht leicht gewesen, den wahren Zweck des Liar’s Club all die Jahre vor Jackham geheim zu halten, aber bei aller Begeisterung für den Freund machte Simon sich keine Illusionen, was Jackhams Unfähigkeit betraf, Geld abzulehnen.
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