Die schöne Spionin
Dann verschwand sie mit steifer Würde.
»Von der gut organisierten Sorte, was?«, sagte James achtlos.
Simon begriff zum ersten Mal, was der Liar’s Club Agatha gekostet hatte, lange bevor sie einander getroffen hatten. Wie fühlte es sich an, von allen verlassen zu werden, auf die sie zählen können müsste? »Du hättest sie nie mit dieser ganzen Last allein lassen dürfen. Sie war kaum mehr als ein junges Mädchen«, fuhr er James wütend an.
James würgte erstaunt einen Mund voll hinunter, um sich zu verteidigen. »Sie hat es doch gut gemacht.«
»Sie hätte zum Tanz gehen sollen und auf Gesellschaften. Sie hätte mit den jungen Männern flirten sollen. Wo warst du, als sie dich gebraucht hat?« »Ich habe für dich gearbeitet.«
»Du hast mir erzählt, du hättest keine anderen Verpflichtungen.«
»Ich dachte, dass sich schon jemand um alles kümmert.«
»Das wolltest du denken, weil es dir gepasst hat«, sagte Simon verächtlich. »Du behandelst sie sogar jetzt noch wie ein Kleinkind. Und das, nachdem sie deinen Besitz gehegt und ihn dir in die undankbaren Hände zurückgelegt hat.«
James stellte das Tablett weg. Er sah Simon stirnrunzelnd an. »Lass uns über undankbar sein reden. Du hast sie ruiniert und ihr die Zukunft geraubt.«
Die Wahrheit traf Simon wie ein Schlag. Er fuhr zusammen und wandte sich verstört ab. »Du weißt, dass ich nicht heiraten kann«, sagte er gedämpft.
James sah ihn unverwandt an. »Nein, ich weiß nur, dass du es
vorziehst,
nicht zu heiraten.«
Simons Unterkiefer mahlte. »Du weißt überhaupt nichts.«
»Dann bitte, klär mich auf.«
Schlagartig kehrte der alte Schmerz zurück, und Simon ging rastlos vor dem Feuer auf und ab. »Ich habe dir nie von meiner Mutter erzählt.«
»Nein, ich weiß, dass sie nicht mit deinem Vater verheiratet war, aber das ist auch alles.«
»Sie war eine billige Hure vom Covent Garden«, sagte Simon rundweg. »Als ich angefangen habe, für den Alten Mann zu arbeiten, habe ich irgendwann auch den ersten Kurierauftrag bekommen. Ich sollte Berichte über die Truppenbewegung auf Malta vom Übergabeort zum Club bringen. Ich war meiner Sache so sicher. Ich hätte nie gedacht, dass jemand den Übergabeort verraten könnte.«
»Ich glaube, auf unseren ersten Missionen haben wir uns alle ein bisschen unsterblich gefühlt«, sagte James leise.
»Aber sind wir alle zu unserer Mutter gelaufen, um damit anzugeben?«
Er sah das Entsetzen auf James’ Gesicht. »Oh, Simon, das hast du nicht getan.«
»Doch, habe ich. Die Übergabe lief gut. Zu gut. Die französischen Agenten müssen geglaubt haben, dass ich das Material noch bei mir habe. Ich habe sie direkt zu ihr geführt. Ich war so verdammt sicher, dass mir keiner gefolgt war. Aber das Beste habe ich dir noch gar nicht erzählt.«
Seine Stimme versagte beinahe. »Ich habe die leere Kuriertasche bei ihr liegen lassen, irrtümlich. Ich war so damit beschäftigt, ihr meinen Lohn hinzuzählen, so hingerissen, ihr das Huren ersparen…«
»Sie dachten, sie hätte das Material. O Gott, Simon.«
Simon holte tief Luft. »Ich war gerade mal ein paar Blocks weiter, als mir auffiel, dass ich die Tasche vergessen hatte. Ich bin zurückgerannt. Aber es war schon zu spät. Sie hatten sie derart zusammengeschlagen, sie sah wie eine kaputte, blutige Puppe aus. Sie hat nur noch ein paar Minuten lang gelebt. Sie ist in meinen Armen gestorben.« Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Und von meiner Hand.«
James sagte eine ganze Zeit lang nichts. Dankbar dafür sank Simon in den Sessel am Feuer und drückte die Handballen auf die Augen. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte und die Augen aufschlug, fiel sein Blick auf den Teppich unter seinen Füßen.
Er erinnerte sich daran, wie er Agatha auf diesem Teppich geliebt hatte.
Gott, was für ein Narr er war. Er wollte den Teppich in seinem Zimmer haben. Wollte nur eine schöne Sache für sich haben.
»Aber Simon, du bist keine sechzehn mehr. Du bist ein Profi. Du bist der Magier.«
Simon lehnte sich zurück und ließ den Kopf an die Lehne sinken. »James, machst du dir irgendeine Vorstellung, was der Feind dafür geben würde, die Frau des Magiers in die Hände zu bekommen? Mir nah zu sein, ist gefährlicher als je zuvor. Willst du, dass sie umkommt?«
James reckte das Kinn und sah Simon finster an. »Nein, ich will, dass sie lebt. Ich will, dass sie ein Leben ohne Scham und Anfeindung lebt.«
»Ihre Geschichte hält. Sogar du dachtest
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