Die schöne Spionin
anfangs, sie hätte geheiratet. Niemand feindet sie an.«
»Dann lass uns hoffen, dass sie weiterhin Glück hat.«
»Ja.« Simon erhob sich. »Du hast dich schon gut erholt. Feebles überwacht die Straße. Ich gehe eine Weile raus. Und morgen muss ich früh wieder im Club sein. Ich sehe nach Ren und lasse dich wissen, wie es ihm geht.«
Er ließ James, der trübsinnig in seinem Essen herumstocherte, alleine. Es gab da einen gewissen, mysteriösen Verehrer, und Simon wollte der Sache auf den Grund gehen.
Etheridges Stadthaus war sehr elegant und sehr groß. Simon beobachtete es vom Dach des unbewohnten Nachbarhauses. Die Hinterseite des Anwesens war genauso gepflegt wie die Vorderseite, und die ein- und ausgehenden Dienstboten hatten nichts von der unterwürfigen Art, wie die Überarbeiteten und Unterdrückten sie an den Tag legten.
Der Mann war, aus Simons Berichten zu schließen, mehr als nur reich. Dalton Montmorency war der perfekte Gentleman. Sein Geld legte er solide bei der Bank of England an, nicht bei irgendwelchen Buchmachern. Seine Ausbildung war keine Farce, die er familiären Verbindungen verdankte, sondern ernsthaften Studien. Seinen Aufgaben als Mitglied des House of Lords kam er mit ernster Hingabe nach, wobei er weitsichtig liberale Ideen verfolgte und sich der Bedürftigen annahm.
Seine Bediensteten waren loyal bis zum Äußersten und erstaunlich verschwiegen. Er gab nur selten Einladungen und schien, außer dem respektlosen Collis, keine Verwandten zu haben. Seine Garderobe und sonstige Ausstattung war zwar elegant, aber in keinster Weise auffällig oder dandyhaft.
Es wurde weder von einer Mätresse noch von extremer Frömmigkeit berichtet. Er war weder ein Sünder, noch ein Heiliger.
In der Tat, der perfekte Gentleman. In Simons Aufzeichnungen war derartige Perfektion so selten, dass sie wie die Tarnung sinisterer Aktivitäten erscheinen musste. Kein Mann war so ausgeglichen, so vergeistigt, so unbefleckt.
Selbstverständlich nahm Simon Seine Lordschaft nur deshalb unter die Lupe, weil es den Zwecken des Liar’s Club dienlich war. Einen Mann wie ihn musste man im Auge behalten, schließlich war er wie ein Profi in Maywells Arbeitszimmer eingedrungen, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
Die Tatsache, dass Etheridge Interesse an Agatha bekundet hatte, hatte mit Simons nächtlicher kleiner Expedition nichts zu tun. Auch wenn Agatha ihrerseits die Wertschätzung des Gentleman in gewisser Weise zu erwidern schien.
Simon hielt die leise Wut, die ihm diese Vorstellung bereitete, in Schach. Er würde Etheridge heute Nacht enttarnen, dann bestand keine Gefahr mehr, dass Agatha sich auf eine skrupellose Person einließ.
Er verlagerte sein Gewicht auf die Fußballen und machte sich bereit, auf einem Seil auf Etheridges Hausdach hinüberzubalancieren. Hier, in dieser reichen Gegend, waren die Häuser fast so groß wie die Herrenhäuser auf dem Land und so weit voneinander entfernt, wie die Schicklichkeit es erforderte.
Die ganze Gegend lag in nächtlicher Stille, und die erleuchteten Fenster warfen lange Lichtkegel in die Dunkelheit. Simon machte sich bereit einzusteigen.
Seine beiden Seile spannten sich straff über die Kluft und waren in der Dunkelheit gänzlich unsichtbar. Simon hatte seinen Enterhaken schon vor einiger Zeit auf Etheridges Dach geschleudert, wo er sich im nächstgelegenen der schiefergedeckten Giebel verfangen hatte.
Die beste Zeit für eine derartige Aktion waren die frühen Abendstunden, wenn sich die Dienstboten noch nicht in ihre Quartiere unter dem Dach zurückgezogen hatten.
Simon bevorzugte für diese Art von Arbeit die blaue Stunde der Dämmerung, wenn der unvermeidliche Nebel und das Zwielicht vieles verbargen.
Doch für die richtige Arbeit auf dem Dach war die tiefe Nacht am besten geeignet. Simon mochte die lautlose Passage und den vertrauten Druck des Seils an den weich besohlten Schuhen. Die Lautlosigkeit, mit der sich seine speziell gefertigten Gummischuhe über die Schieferdächer bewegten, hatte ihm gefehlt, genau wie das gedämpfte
Klick,
wenn ein Schloss die Bolzen freigab.
Simon überquerte die Kluft auf seinem Doppelseil, die Füße auf dem unteren und mit den Händen das obere greifend. Er war schnell. Falls er gesehen wurde, was in einer dunklen Nacht und mit eng anliegenden schwarzen Kleidern sehr unwahrscheinlich war, dann war er schon fort, bevor der Beobachter einen zweiten Blick nach oben werfen konnte.
Er huschte lautlos und geübt über
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