Die schoene Tote im alten Schlachthof
Herren? Also, bis auf Weiteres gilt die Devise: Finger weg von Kafka!
Haben wir uns verstanden?«
Ferschweiler nickte schweigend und versuchte, sich seine
Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Das hätte er voraussehen müssen. Auch de
Boer schien mit dem Ergebnis dieser Besprechung alles andere als glücklich.
Aber was sollten sie machen? Caspers saß am längeren Hebel – und er
konnte, wenn er wollte und etwas schiefging, Ferschweiler das Leben zur Hölle
machen.
Als Ferschweiler und sein Assistent wieder in ihrem Büro
saßen, schwiegen sie beide eine Zeit lang nachdenklich.
»Was meinst du?«, fragte de Boer schließlich. »Ist das nicht eine
verrückte Wendung? Da glauben wir die ganze Zeit, es gehe um Eifersüchteleien
unter Hobbykünstlern, und jetzt wird daraus auf einmal eine knallharte
Drogennummer.«
»Aber was hatte Melanie Rosskämper mit Kafkas Drogengeschäften zu
tun? Und was die Kinzig?« Ferschweiler rieb sich gedankenverloren das Kinn.
»Na ja«, dachte de Boer laut. »Ulrike Kinzig wusste wahrscheinlich
durch ihren Mann von der Sache. So etwas lässt sich schlecht über einen
längeren Zeitraum geheim halten. Und der Lebensstil, dem die Kinzigs frönten,
lässt sich ohne die Zusatzeinnahmen aus den Drogengeschäften auch kaum
erklären.«
»Okay. Und die Rosskämper? Wusste die auch davon?«
»Möglicherweise.«
»Aber warum? Je weniger Mitwisser es gibt, desto problemloser lässt
sich ein großer Deal doch abwickeln?« Ferschweiler war nicht überzeugt.
»Wenn sie Bescheid gewusst hätte, dann bestünde die Möglichkeit,
dass sie ihn erpresst haben könnte.«
»Hätte, könnte, würde … Dafür haben wir keine Anhaltspunkte.«
Natürlich wusste Ferschweiler, dass es nicht fair war, seinen Ärger
über den Verlauf der Besprechung an de Boer auszulassen. Er wollte sich gerade
entschuldigen, als sein Mobiltelefon klingelte. In Trier-West war eine Leiche
gefunden worden.
Es war immer noch nebelig, als Ferschweiler aus dem Wagen
stieg. Das Gelände des Energieversorgers RWE hatte ehemals der Bahn als Ausbesserungswerk gedient. Am anderen Ende des
großen Platzes herrschte hektisches Treiben. Blaulichter flackerten nervös, die
Kollegen hatten Absperrbänder gezogen.
Zielstrebig ging Ferschweiler auf den nächstbesten Uniformierten zu
und fragte ihn, wo Dr. Quint sei. Der Beamte deutete in Richtung des im Nebel
nur schemenhaft zu erkennenden Hochbunkers, der als Relikt aus dem Zweiten
Weltkrieg noch immer an die Bedeutung Triers als wichtiger Umschlagplatz für
Material und Truppen erinnerte.
Ferschweiler bedankte sich, duckte sich unter dem Absperrband durch
und ging auf das Betonbauwerk zu. Wozu es heute genutzt wurde, das wusste er
nicht, tatsächlich hatte er es auch noch nie bewusst wahrgenommen. Er erreichte
den von vier großen Halogenscheinwerfern hell erleuchteten Bunkereingang, in
dem Dr. Quint neben seiner Tasche kniete. Ächzend erhob sich der Pathologe, als
er Ferschweiler bemerkte.
»Oh, hallo, Rudi. Wir beide haben aber am Ende meiner Laufbahn
wirklich einen Lauf, oder? Sehen uns nun fast täglich, und das, obwohl ich
eigentlich meinen Resturlaub verbüßen müsste«, sagte er und massierte seinen
Rücken im Bereich der Nieren.
»Tja, mein Bester«, sagte Ferschweiler. »Manchmal meint es das
Schicksal eben gut mit einem.«
»Kommt auf die Sichtweise an«, konterte Quint. »Der hier würde es
sicherlich etwas anders sehen.«
Er wies auf die zuvor von ihm untersuchte Leiche vor dem Eingang des
alten Luftschutzraums. Ferschweiler verschlug es bei dem Anblick die Sprache.
»Was ist mit dir, Rudi?«, fragte Quint. »Was hast du?«
Doch Ferschweiler blieb stumm. Voller Entsetzen schaute er auf den
Leichnam des jungen Mannes vor sich auf der Erde. Der Tote lag auf dem Rücken,
der Kopf war zur Seite gekippt, an der rechten Seite des Schädels klaffte eine
große Wunde. Das Haar und ein Großteil des Gesichts waren von einem breiten
Vorhang aus getrocknetem Blut überzogen.
»Ja«, sagte Dr. Quint, nachdem er Ferschweiler etwas Zeit gegeben
hatte, sich wieder zu fassen. »Kein schöner Anblick, selbst für einen
Kriminalisten nicht. Dem Zustand der Leiche nach würde ich schätzen, dass er
schon mindestens achtundvierzig Stunden hier liegt. Der Mitarbeiter des
Energieversorgers, der ihn vor einer knappen Stunde gefunden hat, hat einen
Schock erlitten. Er ist zur Behandlung im Krankenhaus.« Nach einem Moment fügte
er hinzu: »Irgendwie erinnert es an die
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