Die schoene und der Lord
Schlosses befand. Halterungen für Fackeln ragten aus den von Rauch verfärbten Gneismauern, die auf ihrer gesamten Länge mit alten Stichen und Zeichnungen geschmückt waren. Dieser Ort war so recht dazu angetan, den meisten Angst einzujagen, und viele hatten sich dort schon gefürchtet. Nicht so Catriona.
Sie hatte sich unter den längst vergessenen Knochen, die in den finsteren Ecken herumlagen, eigentlich immer wie zu Hause gefühlt; ob es sich um Überreste von Tieren oder von Menschen handelte, wußte sie nicht so genau, aber sie waren jedenfalls von den winzigen Geschöpfen, die in all den dunklen, verborgenen Nischen herumhuschten, säuberlich abgenagt worden. Um sie herum hallte das rhythmische Geräusch der See wider, die krachend gegen die Felsküste brandete und bei Flut die unteren Höhlen mit ihrem salzigen Wasser füllte.
Sie liebte diesen Ort über alles und träumte davon, hier zu leben. Dann könnte sie Tag und Nacht in der herrlichen Bibliothek verbringen und jedes Buch dort lesen. Sie stellte sich vor, wie es wäre, beim Erwachen das Sonnenlicht durch die kristallenen Bleifenster strömen zu sehen, während die Seeluft ihr sanft über das Gesicht strich. Sie liebte Rosmorigh, und doch war sie nie weiter vorgedrungen als in diesen einen Raum, denn wenn sie es auch mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte, in den Büchern zu stöbern, so erschien es ihr doch unrecht, weitere Vorstöße zu unternehmen. Das wäre ihr zu sehr wie unbefugtes Betreten vorgekommen.
Als Catriona die letzte Windung der Treppe hinabkam, fand sie an ihrem düsteren Fuße Mairead vor, die sie dort erwartete. Das Haar ihrer Schwester, das dieselbe hellbraune Farbe hatte wie das Schilfgras auf den winterlichen Feldern, hing ihr als zerzauster, vom Wind zerraufter Zopf über die Schulter. Im Licht der kleinen Blechlaterne, die sie in der Hand hielt, konnte man sehen, wie einzelne Strähnen ihr um das strenge Gesicht flatterten. Ein eisiger Blick aus dunkelbraunen Augen empfing Catriona, als sie zögerlich nähertrat.
Mairead war zwar Catrionas jüngere Schwester, aber seltsamerweise überragte sie sie beinahe um Haupteslänge. Von ihrer Mutter Mary hatte sie das sandfarbene braune Haar geerbt, und ihre Augen waren so braun wie die aller MacBryans. Als kleines Mädchen hatte Catriona ihre Mutter einmal gefragt, warum ihre Augen blau seien und nicht braun wie die ihrer Schwester und beider Eltern, und Mary hatte ihr erklärt, dies komme daher, weil sie nachts zur Welt gekommen sei, als Vollmond herrschte und die Sterne hell am Himmel strahlten. Catriona erinnerte sich daran, daß sie darüber nachgegrübelt hatte, ob der Mond auch ihr Haar dunkler gefärbt hatte. »Hast du den Verstand verloren, daß du einfach da hinauf gehst? « fragte Mairead vorwurfsvoll und holte Catriona damit in die Gegenwart zurück. »Dad hat dich davor gewarnt, ganz allein in das Schloß des Angelsachsen zu gehen. Du weißt doch, daß in diesen alten Fluren Gespenster und dergleichen ihr Unwesen treiben.« Sie schaute sich um und verzog unbehaglich das Gesicht, denn ihre Laterne warf unheimliche Schatten, die um sie herumzutanzen schienen. »Und dann noch diese Höhlen. Näher kann man sich den Pforten der Hölle wohl kaum fühlen.«
Catriona verdrehte die Augen. »Es gibt hier keine Gespenster, Mairead. Das ist doch bloß eine Legende, die vor langer Zeit in die Welt gesetzt wurde, um die Leute fernzuhalten.«
»Leute wie dich, Catriona MacBryan. Und Ian Alexander erzählt da ganz andere Geschichten. Er hat mir unter Eid versichert, daß er eines Nachts hierhergekommen und einem solchen Wesen von Angesicht zu Angesicht begegnet ist. Es war wie ein Barbar gekleidet, das Fleisch hing ihm in Fetzen vom Gesicht herab, und es schrie wie ein abgestochenes Schwein, daß es ihn töten würde. Aus einer Rauchwolke ist es aufgetaucht, hat Ian gesagt.«
Catriona mußte sich ein Lächeln verkneifen. »Ian Alexander erfindet gerne Geschichten, um bei Mädchen Eindruck zu schinden.«
»Aber mal ganz abgesehen von den Gespenstern, und ob es sie gibt oder nicht«, sagte Mairead und griff mit fester Hand nach Catrionas Ärmel aus dem in Heimarbeit gewebten Stoff. »Was viel schlimmer wäre als alle Geister, Catriona: Was wäre, wenn der Angelsachse dich erwischt hätte?«
Catriona betrachtete Mairead lächelnd, ohne sich von der Todesfurcht anstecken zu lassen, die offenbar von ihrer Schwester Besitz ergriffen hatte.
Und aus gutem Grund.
»Aber der Angelsachse
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