Die schoene und der Lord
gelesen worden, und doch war es Catrionas größte Angst, eines Tages entlarvt zu werden. Und in dem Fall wäre es für immer vorbei mit ihren Besuchen auf Rosmorigh, und auch mit ihrer geheimen Suche. Dad mochte böse auf sie sein, weil sie herkam, aber über kurz oder lang reiste er immer wieder fort zur Küste, und so konnte sie immer wieder her-kommen. Aber wenn der Gutsherr je herausfände, daß sie unbefugt in sein Schloß eindrang...
Catriona mochte nicht darüber nachdenken, was der Angelsachse mit ihr anstellen würde, wenn er je von ihren heimlichen Besuchen erführe. Besonders, wenn er den Grund dafür herausfände.
Catriona suchte ihr Papier und die Tinte zusammen und schob sie in das kleine Holzkästchen, das zu ihrer Aufbewahrung diente, dann schlüpfte sie in ihre Schuhe. Als sie sich zum Gehen wandte, fiel ihr Blick auf sein Porträt, das vom Kerzenschein erhellt wurde. Wie immer blieb sie unwillkürlich davor stehen und starrte es an.
Er hing an der getäfelten Wand, als sei er absichtlich zwischen die beiden hochragenden, bücherbestandenen Regale plaziert worden, die so gleichsam sein Abbild von beiden Seiten bewachten. Unter ihm stand eine allem Anschein nach uralte, mit Schnitzereien verzierte Truhe, die man als außergewöhnlich empfunden hätte, wäre sie nicht von ihm in den Schatten gestellt worden. Ein tiefroter Teppich wäre weitaus angemessener gewesen, ging es Catriona oft durch den Kopf. Sein Bildnis war in einen schimmernden goldenen Rahmen gefaßt, der im flackernden Licht der Kerze glänzte, und die satten Farben auf der Leinwand schienen in den umhertanzenden Schatten geradezu Gestalt anzunehmen.
Sie musterte ihn im Kerzenlicht. Als erstes waren ihr seine Augen aufgefallen und hatten ihre besondere Aufmerksamkeit erregt. Wenn sie ihn ansah, fühlte sie sich nach wie vor jedesmal von ihnen gefesselt. Durchdringend, intelligent, unbeugsam, wie die Augen eines Falken, was durch ihre auffallende goldbraune Farbe noch unterstrichen wurde. Eine der dunklen Augenbrauen war skeptisch in die Höhe gezogen, das schwarze Haar umrahmte windzerzaust sein markantes, glattrasiertes Gesicht, dessen Kinnpartie Entschlossenheit ausdrückte. Auch der Mund verriet Willensstärke.
Die prächtige rote Uniform brachte seine breiten Schultern gut zur Geltung, und mit weitausgreifendem Schritt stand er in verwegener Haltung auf dem Felsbrocken, den er erklommen hatte. Hinter ihm und um ihn herum tobte eine Schlacht, der er gleichsam entrückt schien — und doch gehörte er immer noch dazu. Jedesmal, wenn sie ihn, oder besser sein Abbild, ansah, wurde Catriona sich einer unwiderstehlichen Anziehungskraft bewußt, die auf sie ausstrahlte und von ihr Besitz ergriff. Sie wußte zwar nicht seinen Namen, aber sie hatte sich im stillen ein Bild von ihm zurechtfabuliert, in dem er der kühne Kommandant einer siegreichen Armee war, die die Sache des Guten gegen das Böse verfocht. Wenn sie spät abends ins Schloß kam, war er ihr Beschützer, ihr Ritter, der sie beschirmte und in der Dunkelheit über sie wachte. Sehr häufig redete sie auch mit ihm und mußte über sich selbst lachen, wenn sie insgeheim seine Antwort erwartete; als hätte ein Mann wie er je seinen Fuß unter normale Sterbliche gesetzt. Sie kannte seinen Namen nicht, war ihm nie begegnet und würde ihm auch nie begegnen, aber er war trotzdem der Mann, dessen Gesicht ihr nachts durch den Kopf ging.
Er war ganz einfach der Mann ihrer Träume.
Wie herrlich er war.
Wie einzigartig.
Und sie liebte ihn.
»Gute Nacht«, sagte sie und lächelte ihm verträumt zu, während sie sich eine verirrte Strähne ihres kupferroten Haars hinters Ohr strich. Dann ging sie hinaus.
Als sie aus dem Raum schlüpfte, blies Catriona unter den wollenen Röcken ein kalter Luftzug um die Beine. Sie zog sich das abgetragene karierte Umschlagtuch enger um die Schultern und knotete es fest zu. Ihre Holzschachtel klemmte sie sich unter den Arm und betätigte den Hebel, der die in das Bücherregal aus Walnuß eingelassene Geheimtür zuschob. So war die wundervolle Bibliothek von Rosmorigh wieder verschlossen.
Unten im Gang konnte sie Mairead hören, die im Dunkel der dichter werdenden Schatten vor sich hin murmelte, um ihrem üblichen Mißfallen Ausdruck zu verleihen.
»Du kannst jetzt losgehen«, rief Catriona ihr zu. »Ich komme.«
Catriona stieg die schmale Steintreppe hinab, die das Labyrinth von Höhlen überragte, welches sich in den felsigen Klippen unterhalb des
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