Die schoene und der Lord
Forbes?«
»Soll ich sie aufmachen und Ihnen vorlesen?«
Robert griff neben sich und fand nach kurzem Tasten das Glas, das neben dem Teller stand. Er machte Fortschritte. Wenigstens hatte er es diesmal nicht umgerissen und sich den Inhalt aufs Hemd geschüttet. Diese ersten Anzeichen von Unabhängigkeit ermutigten ihn, und er nahm einen Schluck von dem Rotwein, bevor er antwortete. »Das wird nicht notwendig sein, Forbes. Um die Korrespondenz werde ich mich selber kümmern.«
Robert wußte, daß Forbes ihn jetzt bestimmt anstarrte, als hätte er nicht nur sein Augenlicht verloren, sondern auch den Verstand, denn zum ersten Mal im Laute ihrer unseligen Bekanntschaft schienen dem Mann die Worte zu fehlen. »Danke, Forbes. Und lassen Sie die Vorhänge, wie sie sind.« Robert wartete, bis er hörte, wie der Diener hinausgegangen war und die Tür hinter sich schloß. Erst dann ließ er die Anspannung ein wenig von sich abfallen.
Volle zwei Stunden dauerte es, bis er seine Mahlzeit beendet hatte. Ein Teil war auf dem Boden gelandet, aber am Ende hatte er es ganz allein geschafft. Und während er dasaß und sich mit der Bewältigung einer vermeintlich so einfachen Aufgabe abmühte - eine Gabel wiederholt zum Munde zu führen —, war Robert zu einem Entschluß gelangt. Er konnte nicht den Rest seiner Tage damit zubringen, in einem abgedunkelten Zimmer herumzusitzen, während sein Leben vorüberzog. Wichtiger noch, er wollte es auch nicht.
Von dem Tag an, als er die Universität verlassen und seinen Dienst in der Garde angetreten hatte, hatte er seinen Lebensunterhalt selbst bestritten, ohne auf andere angewiesen zu sein. So wie er damals Mittel und Wege gefunden hatte, sich als zweiter Sohn zu behaupten, würde er auch jetzt lernen, seine Blindheit zu überwinden. Sein Leben hatte er stets allein gestaltet, und nie hätte er zugelassen, daß andere und ihre Auffassungen darüber, wie er zu leben hatte, darauf Einfluß nahmen. Schon einmal hatte er so die ihm zugedachte Rolle abgestreift und sich aus eigener Kraft emporgeschwungen. Also würde er auch dieses Hindernis überwinden und darüber hinaus die Wahrheit herausfinden. Er würde aufdecken, wer seine Familie wirklich auf dem Gewissen hatte.
Robert erhob sich und wandte sich zum Fenster. Die Brille hatte er abgenommen, und seine Augen nahmen jetzt den Unterschied zwischen dem Licht im Freien und der Düsternis im Zimmer wahr. Wenn er dem Licht eine gewisse Zeit ausgesetzt war, gelang es ihm beinahe, den Schmerz zu verdrängen. Aber eben nur beinahe.
Langsam tastete Robert sich durchs Zimmer und auf das Licht zu. Hinter seinen Augen verspürte er ein schmerzhaftes, beständiges Pochen, das er zu ignorieren versuchte. Beim Fenster angekommen, hob er eine Hand und legte sie flach gegen die Scheibe. Kalt, fest, irgendwie vertraut. Wenn er sich fest auf diese Empfindung konzentrierte, fand er darin eine gewis-se Ablenkung vom Schmerz. Er tastete weiter am Fenster entlang, bis er den Riegel fand, den er sogleich öffnete. Dann stieß er die Fensterflügel auf.
Kalter Wind blies ihm ins Gesicht, peitschte ihm mit frischem, heilsamem Ungestüm gegen die Haut. Robert atmete so tief ein, wie es nur ging, füllte sich die Lungen mit der eisigen Luft und genoß das Gefühl ausgiebig, bevor er langsam wieder ausatmete. Das Pochen in seinem Kopf, direkt hinter seinen Augen, ließ nicht nach, war wegen des Lichts sogar noch stärker geworden, aber wenn er sich fest auf anderes konzentrierte, konnte er es gerade noch ertragen. Er konnte hören, wie unter ihm die Brandung gegen die Felsen schlug, und bündelte seine ganze Aufmerksamkeit auf dieses Geräusch. Es klang beruhigend, lenkte ihn von seinem Schmerz ab, bot ihm Trost inmitten des Chaos.
Neben dem salzigen Geruch der See nahm er in der Brise einen Duft wahr, der ihn an das Mädchen erinnerte. Angenehm war dieser Duft, für sich genommen sogar ein wenig exotisch. Ihre Schilderung der Aussicht kam ihm wieder in den Sinn, wie sie davon gesprochen hatte, daß das Sonnenlicht auf dem Wasser wie Sterne wirkte. Er versuchte, sich die Insel Skye vorzustellen, wie sie inmitten der unergründlichen blauen See unweit des Festlandes dalag. Er stellte sich vor, wie sie am Fenster stand und ihr weiches Haar - welche Farbe mochte es haben? — in der Brise flatterte, ganz so, wie es vorhin unmerklich sein Gesicht gestreift hatte.
Wenn er doch nur die Aussicht sehen könnte.
Wenn er doch nur,« sehen könnte.
Ob sie wohl
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