Die schoene und der Lord
sie direkt vor ihm stand. Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie es das letzte Mal hatte. Es mußte gewesen sein, als Forbes die Tür aufschloß. Darüber war sie so erschrocken, daß sie überstürzt ihre anderen Sachen zusammengerafft und sich so schnell wie möglich davongemacht hatte. Eigentlich hatte sie gedacht, sie hätte es bei ihrem Rückzug dabeigehabt. Vielleicht, so ihre flüchtige Hoffnung, hatte sie es ja im Gang verloren.
Oder aber sie hatte es in der Bibliothek vergessen.
Catriona verzog bekümmert das Gesicht. Dieses Taschentuch hatte ihre Mutter ihr als kleines Mädchen geschenkt und dazu bemerkt, daß das kleine blaue C in der Ecke von einer ganz besonderen Dame hineingestickt worden war. Es würde sie auf Schritt und Tritt beschützen, hatte Mary ihr erzählt und sie ausdrücklich ermahnt, es unter gar keinen Umständen zu verlieren. Und jetzt war Catriona genau das passiert.
Sie würde nochmal zurückgehen müssen, um es wiederzufinden, aber nicht jetzt, wo die Bibliothek nach ihrem Verschwinden vor Leuten wimmelte. Gewiß räumten sie dort gerade auf, und gewiß versuchten sie auch, den Vorfall auf plausible, natürliche Ursachen zurückzuführen. Also müßte sie eben abwarten und später zurückkehren, um das Taschentuch zu suchen. Und dann würde sie auch herausfinden, wie unerschrocken der neue Gutsherr von Rosmorigh wirklich war.
Stunden später saß Robert in der finsteren Bibliothek und drehte das kleine Stück Leinenstoff in den Fingern umher. Es war so hauchdünn und federleicht, daß es ihm ohne weiteres als Beleg für ein Gespenst hätte erscheinen können, wenn da nicht noch dieser eigenartige Duft gewesen wäre, der dem Stoff anhaftete. Er hielt sich das Taschentuch ans Gesicht. Es enthielt ihre ganze Essenz, die ungewöhnlich war und einzigartig. Schon bevor sie dieses Beweisstück zurückließ, war ihm klar gewesen, daß es sich bei dem Mädchen von neulich und seinem geisterhaften Besuch um ein und dieselbe Person handelte.
Forbes und die anderen hatten ziemlich lange gebraucht, um den Raum wieder in Ordnung zu bringen. Zwei Vasen waren zerbrochen, berichteten sie, und mehr als ein Dutzend Bücher lag im ganzen Raum verstreut umher. Eine schwere Truhe war ein gutes Stück von ihrem Standort verrückt worden, die Fenster standen sperrangelweit offen. Zwar wollte Forbes es nicht zugeben, aber die Annahme, es habe sich bei dem Eindringling um eine Art Gespenst gehandelt, schien ihm offenkundig nicht ganz haltlos. Dies hatte Robert am allermeisten amüsiert. Robert war ziemlich beeindruckt davon, was für Mühen sie unternommen hatte, um ihm einen Schrecken einzujagen. Auch seine Neugier war geweckt. Sie hatte eine ausgefeilte Vorstellung inszeniert, die noch dazu ein gewisses Risiko barg. Sinn ihres Spektakels war offensichtlich, ihn aus dem Schloß zu verscheuchen, und jetzt beschäftigte ihn vor allem die Frage, weshalb sie dies vorhatte.
Robert hatte an jenem Morgen nicht die Gelegenheit gehabt, mehr über sie zu erfahren, bevor sie wieder verschwunden war. Wie hieß sie, wie alt mochte sie sein? Sie war jung, das wohl, aber wie jung? War sie ein unbekümmerter Backfisch? Kaum der Schulbank entronnen? Dies schien eher unwahrscheinlich, zumal sie ihm angedeutet hatte, daß sie schon seit einiger Zeit ins Schloß kam. Außerdem wußte sie sich auszudrücken und war intelligent genug, diese beeindruckende Geisterscharade zu inszenieren, und zwar nicht bloß dieses eine Mal, sondern schon des öfteren, denn mehrere der Dienstboten hatten bestätigt, daß dies nicht der erste »Spuk« im Schloß war. Tatsächlich wurde es immer schwieriger, unter den hiesigen Einwohnern noch Arbeitskräfte zu rekrutieren, die überhaupt bereit waren, im Schloß zu arbeiten; so legendär war dieser geheimnisvolle Geist mittlerweile, der mit dem Wind um die Wette heulte und ängstliche Besucher mahnte, Rosmorigh zu verlassen, bevor ihnen schlimme Dinge zustießen. Robert mußte insgeheim lächeln. Sie war wirklich ganz schön gerissen. Und ziemlich keck, wenn man bedachte, daß sie einen Blinden in Angst und Schrecken zu versetzen versucht hatte. Aber war es bloße Keckheit, oder steckte der Mut der Verzweiflung dahinter? Was mochte sie im Schilde führen? Robert trug zusammen, was er sonst noch über sie wußte. Sie kam häufig und regelmäßig nach Rosmorigh, ohne daß ihr Eindringen bemerkt wurde, was nur bedeuten konnte, daß sie Zugang zu einem verborgenen Eingang ins Schloß hatte. Jeden,
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