Die schoene und der Lord
die Macht zurückkehren kann. Hier in London wird vermutet, daß der Kampf in Kürze siegreich entschieden wird und dann alle endlich ihren langersehnten Urlaub in Paris fortsetzen können. Jede künftige Korrespondenz, die mich von Tolley erreicht, werde ich Dir zukommen lassen. Einstweilen hoffe ich, daß bei Dir soweit alles zum Besten steht, und verbleibe in Erwartung Deiner baldigen Antwort. Alles Liebe, Dein Bruder Noah.«
Robert schwieg und dachte nach. Dieses Gefühl des Wartens kannte er gut, die nervöse Erwartung des bevorstehenden Kampfes, ohne jedoch zu wissen, wann oder wo er sich ergeben würde. Noch immer verspürte er den brennenden Wunsch, bei Tolley und seinen Landsleuten auf dem Kontinent zu sein, und doch blieb die Tatsache bestehen, daß er dort wenig mehr ausrichten könnte, als allen nur im Weg zu sein. Robert betete um einen Sieg für Wellington, wußte aber zugleich, daß er sich darauf nicht allzusehr versteifen durfte. Er war ein Teil der Geschehnisse, die sich in Frankreich zutrugen, und doch war er von ihnen abgeschnitten. Ihm blieb nichts übrig, als untätig herumzusitzen und auf Kunde von Tolley zu warten. Und die Hoffnung nicht aufzugeben. Einstweilen mußte er sich die Geschehnisse auf dem Kontinent aus dem Kopf schlagen, und dies gelänge ihm am besten, wenn er seine Bemühungen einzig darauf konzentrierte, die Wahrheit über das Feuer aufzudecken. Noahs Brief ließ es ratsam erscheinen, Kinsborough und seine mögliche Beteiligung an dieser Tragödie näher unter die Lupe zu nehmen.
»Da Sie so gut lesen, nehme ich doch an, daß Sie auch schreiben können?« fragte er.
»Ja, natürlich«, erwiderte Catriona.
»Wären Sie so freundlich, die Antwort an meinen Bruder niederzuschreiben, wenn ich sie Ihnen diktiere?«
»Aber gewiß. Obwohl es dazu heute wohl schon ein wenig spät ist. Morgen vielleicht?«
Robert nickte. Dann könnte er noch die Nacht über sein weiteres Vorgehen überdenken. »Morgen paßt wunderbar.« »Ich komme gegen Mittag, dann kann ich danach noch ein wenig in die Bücher schauen. Kurz nach Mittag also?«
»Ich werde Sie erwarten.«
Als Catriona am nächsten Tag wiederkam, stand Robert am Fenster der Bibliothek. Die ganze Nacht hindurch hatte er seine Gedanken zu ordnen versucht und jede nur denkbare Ursache des Feuers in Betracht gezogen. Zwei Faktoren hatten sich immer wieder in den Vordergrund geschoben, gleich, welche Variante er auch in Gedanken durchspielte. Der Marquis von Kinsborough und Rosmorigh. Die genaue Beziehung, in der sie zu seinem Vater standen, mußte er noch herausfinden, aber das würde ihm schon gelingen. Dazu war er fest entschlossen.
Robert drehte sich um, als Catriona hereinkam. Sie blieb stehen und bemerkte sofort, daß er seine Brille nicht aufhatte. »Sie stehen ja am Fenster«, sagte sie und lächelte.
»Der Schmerz läßt ein wenig nach.« Er trat auf sie zu und blieb bei seinem Sessel stehen, wo er mit beiden Händen die Rückenlehne umfaßte. »Noch vor zwei Wochen hätte ich unmöglich so nahe bei einem offenen Fenster stehen können, ohne mich vor Pein zu winden. Jetzt aber ist der Schmerz zeitweise nahezu erträglich.« Er schwieg kurz. »Das ist mit Sicherheit ein gutes Zeichen, und dies verdanke ich ausschließlich Ihnen.«
»Mir?«
»Ja. Wenn Sie mich gestern nicht ins Freie geführt hätten, hätte ich den Rest meiner Tage hier im Dunkeln zugebracht, weggesperrt, die dunkle Brille immer vor den Augen. Nie wieder hätte ich erfahren, wie es ist, wenn einem die Seeluft übers Gesicht streicht, oder wie herrlich das warme Sonnenlicht sich anfühlt. Ich hätte nie erkannt, wie sehr mir solch einfache Dinge in meinem Leben fehlen. Es ist schon erstaunlich, wie viele Dinge wir für selbstverständlich halten, wenn sie immer um uns sind. Erst wenn sie nicht mehr da sind, erkennt man, wie wichtig sie wirklich waren.«
Catriona vermutete dunkel, daß er damit auf mehr anspielte als nur die Sonne und den Wind in seinem Gesicht, und sie wußte nicht recht, wie sie ihm antworten sollte. Nie zuvor hatte sie jemand anderem etwas wirklich Besonderes schenken können. Ihrer Mutter hatte sie immer Blumen auf einer Wiese gepflückt. Für ihren Vater hatte sie einmal ein Hutband mit dem traditionellen Karomuster der MacBryans angefertigt. Aber dies — das Bewußtsein, jemandem, der sich schon verloren wähnte, die Hoffnung auf Besserung zum Geschenk gemacht zu haben, und dann auch noch ihm - vermittelte ihr ein wirklich erhebendes
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