Die Schoene und der Milliardaer
anders bei der Frage, wie die Verwandtschaft sich in so einem Fall verhielt. Sein Vater und seine Mutter waren einflussreiche Menschen, die es gewohnt waren, ihren Willen zu bekommen. Wenn sie den Eindruck gewännen, Marcus sei ausgenutzt worden, würde sie die Trauer um ihn noch unerbittlicher machen. Da mochte Sonya noch so schön, klug und vornehm sein, Rowena und er könnten die geheimnisvolle Ms Erickson vor ihrem Zorn nicht beschützen. Sollte es tatsächlich eine Testamentsänderung zu ihren Gunsten geben, würde man Sonya ins Rampenlicht zerren, und sie würde von der Presse als die heimliche Drahtzieherin in Marcusâ Wainwrights letzten Lebensmonaten an den Pranger gestellt werden.
Deshalb wollte er ihr die Todesnachricht nicht telefonisch überbringen. Das wäre zu grausam gewesen. Obwohl seine Zeit knapp war, nahm er ein Taxi und lieà sich zu ihrem Blumengeschäft fahren. Damit ersparte er sich zumindest die Suche nach einem Parkplatz.
Sobald sie David sah, wusste Sonya, dass etwas Schlimmes geschehen war, und ihr Herz begann, heftig zu pochen. Es waren gerade keine Kunden im Laden, vor einer Weile waren es noch viele, und sie hatte sich darauf gefreut, ein wenig zu verschnaufen.
âIst Marcus wieder im Krankenhaus?â Ãngstlich suchte sie in Davids fast unheimlich blassem Gesicht nach einer Antwort. Wie kummervoll er aussah.
âSchlimmerâ, sagt er. âEs fällt mir so schwer, er dir zu sagen. Marcus ist gestorben.â
âNein, nein. O Gott, nein!â Sie schwankte und hielt sich am Verkaufstresen fest. âDas kann ich nicht glauben. Ich habe doch gestern noch mit ihm telefoniert. Er klang nicht mehr schwach. Und die Ãrzte haben doch â¦â
âEr hatte einen zweiten Infarkt, Sonya. Den konnte er nicht überleben. Sei jetzt tapfer und komm mit.â
âIch kann jetzt keine fremden Menschen ertragen, Kunden bedienen â¦â Doch wo sollte sie jetzt hin?
âAm besten du hängst ein Schild an die Tür, dass dieses Geschäft bis auf weiteres geschlossen bleibt. Deine Hilfskräfte kannst du von zu Hause aus benachrichtigen und mit ihnen etwas ausmachen. Du wirst diesen Laden jedenfalls nicht wieder betreten können, solange die Medien berichten.â
Ihr wurde schwindelig, und sie begann zu zittern. âEs tut mir so leidâ, stöhnte sie. âGlaubst du denn, ich habe Schuld an seinem Tod?â
âHör auf, dich zu quälen. Dich trifft keine Schuld. Marcus war ein kranker Mann.â
Ihr kamen die Tränen. Sie wischte sie mit dem Handrücken fort. âWo ist er gestorben?â
âNimm dich zusammen, Sonya!â, ermahnte er sie. âSeine Haushälterin hat ihn gefunden. Er starb während des Schlafs.â
âDann ist er friedlich gestorben. Gott sei Dank. Weià Lady Palmerston es schon?â Viel lieber hätte sie gewusst, wie David sich fühlte. Litt er auch unter einem schlechten Gewissen Marcus gegenüber? SchlieÃlich hatte er sie geküsst. Da war Marcus schon krank. Sein Tod musste ihn doppelt getroffen haben. Er sah so bleich und mitgenommen aus.
âSonya, jeder wird es bald wissen, wenn wir nicht augenblicklich verschwinden. Ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein. Was glaubst du, was passiert, wenn die Medien davon erfahren?â
Endlich begriff sie. Kaltes Entsetzen packte sie bei der Vorstellung, was dann passieren konnte.
In den nächsten Tagen erschienen mehrere Fotos von Sonya in Zeitungen und auch im Internet. Alle waren sie bei der Gala aufgenommen worden. Einige zeigten sie am Arm von Marcus, der deutlich älter aussah als sie. Andere im Gespräch mit David, gerade als sie sich in die Augen sahen. Oder am Tisch sitzend zwischen Reichen und Berühmten. Auf allen Bildern stach sie wegen ihres eleganten Abendkleides heraus, das einmal ihrer Mutter gehört hatte, und der Halskette mit den herrlichen Smaragden und Diamanten, dem Hochzeitsgeschenk von Marcus an seine Lucy. Und es gab kein Bild, auf dem ihr nicht jeder ansah, dass sie adelig war.
Dass sie das Ebenbild ihrer Mutter Lilla war, wusste natürlich niemand. Nur der, vor dem sie sich fürchtete, würde es erkennen. Deshalb bereute Sonya diese Ãhnlichkeit zum ersten Mal in ihrem Leben.
In New York stand Laszlo Ondrassy-von-Neumann an einem kalten Tag im verlassenen Central Park, als ein groÃer bulliger Mann im Wintermantel und dicker Mütze auf
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