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Die Schöne und der Tod (1)

Die Schöne und der Tod (1)

Titel: Die Schöne und der Tod (1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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sich hadert, dass Emma ihm wieder den Kopf verdreht hat, dass er sich eine Zukunft irgendwoanders vorstellen will, dass er wieder daran zweifelt, ob sein Leben hier gut ist. Hanni weiß es. Sie lächelt ihn an, nimmt seine Hand, streichelt sie. So wie früher.
    Eine halbe Stunde später spürt er sie. Graben wird er morgen. Jetzt geht es um ihn. Nur um ihn. Wie sie wild übereinander herfallen, laut, so wie früher. Wie sie schreit, wie er sich gehen lässt, wie sie es genießt, ihn endlich wieder in ihren Händen zu halten, ihn zu berühren, seine Lippen, seinen Körper. Wie das Bett wackelt, knarrt, schreit. Wie sie nass im Laken liegen, nebeneinander, ausgelassen. Max denkt nicht, er spürt nur, wie sein Herz rast. Wie sie seinen Bauch streichelt. Sie ist da für ihn in dieser Nacht.
    Nur kurz steht er auf, um Wein zu holen. Sie lassen den Wein von einem Mund zum anderen rinnen, sie küssen sich, trinken sich. Er denkt nicht an Emma, nicht an Marga, nicht an Dennis, die ganze Nacht nicht, nur Hanni und Max. Bis zum Morgen.
    Hannis Körper im Morgenlicht. Er küsst sie noch einmal und macht Frühstück. Brötchen aus der Dose, er schiebt sie ins Backrohr, deckt den Tisch für sie, gießt Kaffee in die Thermoskanne. Er will das Grab vorbereiten, es soll fertig sein, wenn die Leiche von Dennis freigegeben wird. Egal, wann das sein wird, das Grab wird da sein, ein schönes Grab, an einem schönen Platz in der Sonne. Er zieht sich an und geht, ohne sie zu wecken.
    Max hat das Grabfeld ausgesucht. Es wäre gut für Tilda gewesen, für ihn selbst, für alle Menschen, die ihm wichtig sind. Auf seinem Friedhof suchen sich die Menschen ihre Gräber nicht selbst aus, sie werden ihnen zugeteilt, Max entscheidet. Von seiner Terrasse aus kann er das Grab sehen, es ist im sonnigsten Teil des Friedhofs, nur noch wenige Grabfelder sind hier frei. Ein besonderer Platz, ein Platz für Bürgermeister, Lehrer, Pfarrer, für Dennis.
    Der Boden ist gefroren, zehn Zentimeter, er muss mit dem Pickel arbeiten. Der Boden ist hart, steinig, das Graben ist Mühe, er braucht länger als sonst, er muss schalen, ab einem Meter fünfzig kommt rollendes Material. Dennis hat sonst immer geholfen, eineinhalb Jahre haben sie gemeinsam gegraben, jetzt wird sich der Junge hier hinlegen, liegen bleiben. Neben dem Altbürgermeister und der Familie des Zahnarztes wird er liegen. Gute Gegend, gutes Grab, genau so, wie es sein soll, perfekte Handarbeit, kein Bagger, mit Liebe geschaufelt.
    Sein Vater wäre stolz auf Max gewesen, keine Erde ist dort, wo sie nicht sein soll, die Nachbargräber sind gut geschützt, die Grabwände sind perfekt. Kurz vor neun Uhr ist er bereits auf 2,20 Meter. Max ist erschöpft, er hat schnell gegraben, schneller als sonst. Er hat die Schaufel in die harte Erde gebohrt, sie nach oben geschleudert, ohne Pause, ohne langsamer zu werden, so lange, bis er unten stand und nicht mehr sah, was oben war, tief in der Erde, dort, wo Dennis bald sein würde, für immer.
    Niemand ist am Friedhof. Es ist noch zu früh für die alten Damen, er ist allein. Oben Hanni. Vielleicht frühstückt sie schon. Es ist still. Er ist ganz unten, das Grab ist fertig. Er legt sich hin.
    Im Sommer ist es angenehmer, im Sommer bleibt er manchmal zwei Stunden unten liegen, er mag diese Geborgenheit, wenn nur noch er da ist und die Erde. Im Winter bleibt er so lange, bis die Kälte ihn wieder nach oben treibt. Erschöpft liegt er im Grab von Dennis und denkt an ihn. So viele Bilder fallen ihm ein, sein Gesicht, wie es Angst hat, sein Gesicht, wie es lacht. Max atmet flach, schaut nach oben, sieht den rechteckigen Ausschnitt des Himmels, immer wieder Vögel, die durch sein Bild fliegen. Keine Schritte, keine Stimmen am Friedhof, die Sonne kommt erst spät um diese Jahreszeit. Kurz macht er die Augen zu. Er denkt an Hanni. Wie warm es bei ihr war. Hanni. Dann kommt die Erde nach unten. Plötzlich und viel.
    Die Schalung, die Max rund um das Grab aufgebaut hat, bricht zusammen. Der Himmel wird dunkel, Max kann ihn nicht mehr sehen, er verschwindet. Überall ist Erde. Wie alles nach unten bricht, was er nach oben geschaufelt hat. Max schnellt hoch, Erde in seinem Mund. Er kann sich gerade noch aufrichten, sich hinknien, seinen Oberkörper aufrichten. Die Erde fällt und bleibt liegen auf ihm. Sie hat ihn bis zur Brust eingegraben, seine Beine stecken fest, er kann sie nicht bewegen, auch seine Hände nicht, er versucht sie nach oben zu ziehen, es gelingt nicht.

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