Die Schöne vom Nil
Erkenntnis des Grauens.
Er stand nämlich aufrecht in einem Loch, das man wieder bis zu seinem Hals zugeschüttet hatte. Als er den Mund zum erstenmal aufriß, staubte der Wüstensand in seine Mundhöhle und klebte wie Brei an seinem Gaumen fest.
Unter einer Gruppe von Palmen sah er den alten VW und daneben seinen eleganten Sportwagen stehen. Er versuchte, sich zu rühren, wollte strampeln oder die Arme nach oben stoßen … es war unmöglich!
Man hatte ihn in den Wüstensand eingegraben, unter der prallen glühenden Sonne, und nur sein Kopf ragte aus der Erde heraus wie ein zweifarbiger, runder Stein.
»Allah grüße dich!« sagte eine Stimme hinter ihm. »Du bist ein schwächlicher Mensch, nach einem Schlag so lange zu schlafen.«
Suliman schluckte. Maßloses Entsetzen stieg erneut in ihm hoch.
»Bist du verrückt, Toc-Toc …?« stammelte er. »Was soll das?«
»Toc-Toc dürfen mich nur meine Freunde nennen.«
Mahdi ibn Kebir saß hinter Sulimans Kopf, neben sich vier lederne Eimer mit Wasser. »Du bist mein Freund nicht.«
»Du hast mich niedergeschlagen …«
»Mit einem verchromten Schraubenschlüssel! So einfach war das. Und dann habe ich dich in das vorbereitete Loch gestellt und rings um dich zugeschüttet. Versuche nicht, den Kopf nach hinten zu drehen! Es gelingt dir nicht. Ich sitze hinter dir und habe vier Eimer Wasser bei mir. Wir können uns lange unterhalten. Der Mann in Gizeh, der dir Informationen geben wollte, wartet nicht mehr.«
»Das warst du?«
»Die einfachsten Fallen sind immer noch die besten, Suliman.«
»Was willst du nun?«
Suliman schluckte krampfhaft. Der staubige Sand drang bei jedem Öffnen in den Mund ein und verklebte ihm die Kehle. Er spürte die stechende Glut der Sonne auf seinem Kopf und wußte genau, was Toc-Toc mit ihm machen wollte …
Eine alte arabische Art, auch den Verschwiegensten zum Sprechen zu bringen: Grabe ihn bis zum Kopf in die Wüste ein und überschütte ihn mit Wasser, bis ihm der Schädel platzt …
»Bei Allah, was habe ich dir getan? Laß uns miteinander reden …«
»Wo ist Dr. Herburg?«
Suliman schwieg. Das ist doch nicht möglich, dachte er. Er kann es nicht wissen, nicht einmal ahnen. Keiner meiner Diener würde mich verraten.
»Er … er ist entführt worden!« sagte Suliman laut.
Toc-Toc nahm den ersten Eimer und kippte etwas Wasser über den im Wüstensand steckenden Kopf.
Suliman riß den Mund auf und trank gierig das Wasser, das ihm über das Gesicht in den aufgerissenen Mund lief. Wie herrlich, wie köstlich frisch! Er spülte den Sand in seiner Mundhöhle hinunter und konnte wieder etwas freier atmen.
Aber gleichzeitig sprang ihn die Angst an.
Er versuchte, den Kopf langsam zu drehen, um einen Blick auf Toc-Toc zu erhaschen, aber der saß genau hinter ihm, in einem toten Blickwinkel, und blieb unerreichbar.
»Wenn vier Eimer zu wenig sind … ich kann mehr Wasser holen!« verkündete Toc-Toc ganz ruhig. »Und wir haben Zeit, Suliman. Es gibt weder im Himmel noch in der Hölle Uhren. – Wo ist mein Doktor?«
»Ich weiß es nicht!« schrie Suliman. »Du Verrückter! Grabe mich aus. Ich will diese Stunde vergessen, wenn du mich herausholst.«
»Wo ist mein Doktor?«
»Ich schenke dir tausend Pfund …«
Ein neuer Guß überschwemmte seinen Kopf.
Suliman schloß die Augen. Die Angst wurde zur Panik. Er spürte nun schon, wie das Wasser in der glühenden Sonne auf seinem Kopf verdunstete, wie sich die Kopfhaut unter den Haaren zu blähen schien, wie eine Blase, die größer und größer wird und schließlich zerplatzt.
Toc-Toc schwieg. In seine Djellabah gehüllt, die Kapuze über den Kopf gezogen, hockte er hinter Sulimans Kopf im Sand wie ein Riesengeier. Ab und zu erneuerte er den Wasserguß und wartete.
Suliman rang nach Luft. Sein Kopf quoll auf, seine Lippen wurden borkig, zerrissen dann, in den Augenwinkeln brannte der sandige Staub, durch das Wasser zu heißen Klumpen verbacken.
»Zehntausend Pfund!« keuchte Suliman jetzt heiser. »Toc-Toc, du bist ein reicher Mann!«
»Toc-Toc dürfen mich nur meine Freunde nennen. Du bist nicht …« Der nächste Wasserguß.
»Zwanzigtausend Pfund, Mahdi ibn Kebir!«
»Wo ist mein Doktor?«
Suliman schwieg verbissen, als der nächste Wasserguß kam.
Wie ein gieriges Tier stürzte sich die Sonne auf das Naß und saugte es auf.
Suliman stöhnte. Vor seinen Augen entstand ein Flimmern, die Palmengruppe mit den beiden Autos begann sich zu drehen. Und plötzlich schrie er
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