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Die schoenen Hyaenen

Die schoenen Hyaenen

Titel: Die schoenen Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivia Goldsmith
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Mal entschlossen, einfach nicht mehr zu reagieren. Nun war sie tot. Mary Jane weinte nicht. Sie beneidete ihre tote Großmutter grenzenlos.

14.
    Sharleens Sorgen verflüchtigten sich. Das bewirkten Dobes bequemes Auto und das unkomplizierte Leben, das sie führen durfte. Zudem sagte sie sich, daß die Polizei höchstens nach ihr und Dean suchte, nicht aber nach einer Familie. Denn so mußten sie ja auf andere wirken. Dobe brachte sie oft mit Anekdoten zum Lachen. Abwechslung brachten auch die Stopps an den Tankstellen. Dobes Geschäft blühte. Sie verbrachten eine Woche in Arizona und erreichten dann Nevada. Bei jeder Landesgrenze betete Sharleen inbrünstig.
    Seit Dobe mit Sharleen über Dean gesprochen hatte, dachte sie viel nach. Sie log, wenn sie behauptete, Dean sie ihr Freund und nicht ihr Bruder. Doch diese Lüge störte sie weniger als die Tatsache, daß er tatsächlich ihr Freund war und ihr Halbbruder obendrein. Dean hatte in vieler Hinsicht die Mentalität eines Kindes. Andererseits beschützte er Sharleen auch. Umgekehrt fühlte sie sich ebenso für Dean verantwortlich, und sie brauchte seine zärtliche Liebe. Er war ihre Familie. In Lamson hatte sie das Problem verdrängen können. Jetzt nahm es neue Formen an.
    Plötzlich erschien ihr das alles unsinnig. Wem schadeten sie denn? Wer sollte ihnen nachweisen, daß sie ein Unrecht begingen?
    In der nächsten Nacht besiegelten sie ihre Liebe. Sie versprachen sich auch, einander nie allein zu lassen.

15.
    Mary Jane wachte plötzlich auf. Nur unter großer Anstrengung öffnete sie die Augen. Eisige Kälte umgab sie. Sofort senkte sich tiefe Niedergeschlagenheit über sie.
    Denn sie hatte nie wieder aufwachen wollen. Sie haderte mit sich, weil sie nichts ordentlich machen konnte. Wozu hatte sie Krankenpflege gelernt? Sie lag auf dem Bett ohne Decke, noch in dem schwarzen Kleid, das sie am Tag zuvor zur Beerdigung getragen hatte. Jetzt war es zerdrückt und unansehnlich geworden.
    Der Tag der Beerdigung stand wieder vor Mary Janes Augen. Nach der Beisetzung hatte sie getrunken. Viel getrunken. Wieder erschauerte sie unter der Kälte. Sehr langsam stand sie auf. Plötzlich erbrach sie sich.
    Danach sah Mary Jane sich in dem kärglich eingerichteten, armseligen Zimmer um. Sie fühlte sich wie ein Eindringling, obwohl sie in diesem Schlafzimmer groß geworden war. Allerdings hatte sie sich stets als Eindringling gefühlt. Auch als Kind. Sie wußte, daß hinter der Schranktür die Kartons mit den Resten ihrer Kindheitserinnerungen gestapelt waren. Der Geruch von Moder mischte sich mit dem ihres Erbrochenen. Mühsam beseitigte sie die Spuren, die ihre Übelkeit hinterlassen hatte, mit einem alten Lumpen, der einmal ein Handtuch gewesen sein mußte.
    Auch nach so vielen Jahren schmerzte es noch, daß ihre Großmutter alle Habseligkeiten ihrer einzigen Enkelin fortgeräumt hatte, kaum daß diese ihre Krankenpflegeausbildung begann. Mary Jane hatte es nie über sich gebracht, sich mit dem Inhalt der Kartons zu befassen: alte Kleidung, Zeitungsausschnitte, Tagebücher, Erinnerungsstücke. Dennoch hatte sie es ihrer Großmutter übelgenommen, daß die es so eilig gehabt hatte, alle Spuren ihrer Enkelin zu beseitigen.
    Mary Jane zog ihren Morgenrock an. Sie fror erbärmlich. In Strümpfen tappte sie die ausgetretene Holztreppe hinunter. Sie meinte neben sich Snowball zu hören, wie er sie auf sanften Pfoten begleitete. Sie hatte den Kater geliebt. Inzwischen war er längst tot. Nun hatte sie in New York nur noch Midnight als Freund. Sehr viel hatte sich seit ihrer Kindheit also nicht geändert.
    In der Küche sah es verheerend aus. Ihre Großmutter hatte den Haushalt verkommen lassen.
    Mary Jane füllte einen Kessel mit Wasser und setzte ihn auf den Herd. Während sie darauf wartete, daß das Wasser kochte, sah sie sich in der Küche um. In einer Ecke waren leere Suppendosen gestapelt. Es gab eine Menge angeschlagenes Geschirr. Die Tapete war verblaßt und wellte sich, was Mary Jane auf das Regenwasser im Frühjahr zurückführte und das undichte Dach. Den grünbraunen Emailleherd auf seinen sechs Metallfüßen bedeckte ein Schmutzfilm. Vor dem Ausguss und dem Herd kamen die Dielen unter dem abgenutzten Linoleum hervor.
    Der Blick aus dem schmutzblinden Fenster konnte die Stimmung kaum heben. Ein stahlgrauer Himmel, die Wolken schwer vor Nässe. Allmählich erinnerte Mary Jane sich an die Einzelheiten des vergangenen Tages. Nur wenige Leute hatten sich auf dem Friedhof

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