Die schoenen Hyaenen
fragte Mary Jane höflichkeitshalber, als Neil anrief. Es fiel ihr in letzter Zeit schwer, mit ihm oder Molly oder einem anderen vom Workshop zu sprechen. Seit Sam nach L.A. geflogen war, hatte ihr Leben seinen Sinn verloren.
Doch Neil, der gute Kerl, verdiente es, daß Mary Jane sich zusammenriß. Sam war weg. Neil stand kurz vor seiner Abreise, und auf Mary Jane wartete noch eine Fahrt zu ihrer Großmutter. Das genügte. Mary Jane kam sich vor wie ein Lamm auf dem Opfertisch.
»Um neun Uhr vom Kennedy-Flughafen«, antwortete Neil. »Bringst du mich hin?«
Mary Jane zögerte. Davor hatte sie sich gefürchtet. Der vierte Abschied eines Freundes innerhalb eines Jahres. Alle reisten nach L.A., alle mit Verträgen. Den Gerüchten zufolge halte Bethanie Sam bei seinem letzten Flug begleitet.
Hatte Sam, als er mit Mary Jane schlief, schon gewußt, daß es ein Abschied für immer sein würde? Oder hatte er es sich erst danach überlegt? War er vielleicht nur gekommen, um sich zu verabschieden und hatte Mary Janes Bereitwilligkeit als willkommene Zugabe betrachtet? Hatte Sam schon eine Freundin in L.A.? Warum nahm er dann Bethanie mit? Brauchte er einfach jemanden, egal wen? Hatte er Mary Jane nicht verziehen, daß sie es anfangs abgelehnt hatte, ihn zu begleiten? Liebte er sie? Hatte er sie je geliebt?
Es gab keine Antworten auf diese Fragen. Vielleicht hätte nicht einmal Sam die Antworten gewußt. Doch das hinderte Mary Jane nicht daran, sich unaufhörlich zu fragen: Warum?
Nun mußte sie auch mit Neils Abreise fertig werden. Am liebsten hätte sie sich vor der Fahrt zum Flughafen gedrückt. Doch das konnte sie ihm nicht antun. Sie sagte also zu. »Welchen Bus müssen wir denn nehmen?«
»Vergiß den Bus, der Produzent bezahlt mir die Fahrt im Taxi. Allerdings muß ich dich schon morgens um sieben Uhr abholen. Wir können auf dem Flugplatz frühstücken. Danke, Mary Jane!« Sie hörte, wie glücklich er über ihre Zusage war.
Mary Jane wartete am nächsten Morgen also pünktlich vorm Haus. Sie strich mit der Hand über ihr dichtes, fast schwarzes Haar. Das wenigstens sah gut aus. Obwohl sie etwas gegen die grauen Strähnen unternehmen mußte. Der Jeans-Wickelrock brachte ihre breiten Hüften unvorteilhaft zur Geltung. Doch Neil hatte einmal gesagt, er möge den Rock an ihr, weil sie darin wie die Veronica in den Archie-Comics aussah. Und Veronica war seine Kultfigur, seine erste Liebe. Also hatte Mary Jane sich bemüht, Veronica ähnlich zu sehen.
Sie trug eine Laura-Ashley-Bluse mit kleinen Rosenblüten und einem Bubikragen, vom Schlussverkauf, außerdem typisch Veronica. Auf dem Kragen trug sie eine goldene Anstecknadel, außerdem hatte sie ihr Glücksbringerarmband angelegt, beides Plastik, beides von Woolworth.
Als das Taxi vorfuhr, rief Neil sofort: »Veronica!«
»Jughead«, rief sie zurück und drehte sich vor Neil, bevor sie einstieg.
»Du bist verrückt, Mary Jane«, fand Neil lachend. »Darum liebe ich dich auch.«
»Ich wäre verrückt? Du bist doch der Mann mit dem Veronicatick. Ich kenne niemanden sonst, der sich in eine Comicfigur verliebt hat.«
»Nicht verliebt hat. Ich wollte mit ihr schlafen.«
Mary Jane lachte. Sie betrachtete Neil von Kopf bis Fuß. Er hatte die obersten drei Knöpfe seines rohseidenen, rosafarbenen Hemdes offengelassen. Zu weißen Hosen trug er weiße Mokassins von Gucci, ohne Socken. Jeder andere hätte in dem Aufzug umwerfend ausgesehen. »Scheint mir ganz so, als wäre ich nicht die einzige, die sich herausgeputzt hat.«
»Was meinst du, passe ich so nach L.A.?«
»Moment mal.« Sie wühlte in ihrer ausgebeulten, großen Handtasche herum. »Es fehlt noch was. Gute Reise, Neil.« Sie hielt ihm ein grell verpacktes Geschenk hin.
Neil riß das Papier ab, dann schrie er vor Lachen, als er die großgliedrige imitierte Goldkette mit einem riesigen Einhornanhänger herausnahm.
»Jetzt paßt du nach L.A.«, erklärte Mary Jane überzeugt und legte ihm die auffallende Kette um den Hals. Der Anhänger lag auf Neils blasser Brust mit den wenigen dünnen Haaren. »Richtig Los Angeles.«
Sie checkten Neils Gepäck ein und setzten sich dann in eine Cafeteria.
Die Kellnerin brachte ihnen Kaffee und nahm ihre Bestellung für das Frühstück entgegen. »Und zwei doppelte Bloody Marys«, trug Neil auf.
»Sag mal, willst du mich betrunken machen?« fragte Mary Jane kokett.
Neil griff nach ihrer Hand. »Komm mit mir, Mary Jane«, bat er ernst.
Nicht auch das noch, seufzte sie
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