Die schoenen Hyaenen
Frau zu fühlen und entsprechend zu benehmen? Ohne einen gewissen schauspielerischen Einsatz ging es sicher nicht. Es genügte nämlich nicht, die Fassade zu verändern, Kleidung, Make-up, Bewegung und Haltung. Mary Jane mußte auch die Eigenarten und das Benehmen einer schönen Frau annehmen. Konnte sie das, nachdem sie bisher gewohnt war, absolut kein Vertrauen zu sich zu haben? Würde sie lächerlich erscheinen, versagen? Was ging in einer Raupe vor, die zum Schmetterling wurde — besaß sie eine genetische Vorlage, die sie auf ihre neue Rolle vorbereitete? Mary Jane hatte eine solche Vorlage jedenfalls nicht. Die mußte sie sich selbst schaffen.
Sie starrte in ihr Notizbuch, in das sie geschrieben hatte: »Finanzplan«, »Sozialplan«, »Berufsplan«, »Fitnessplan«. Sie würde ihre düstere Wohnung nicht verlassen, bevor sie nicht alle vier Punkte gründlich durchdacht und Lösungsmodelle gefunden hatte. Von Beobachtung und Nachahmung verstand Mary Jane viel, von Improvisation wenig. Sie mußte mit ihrer neuen Rolle vertraut werden, wie sie das als Schauspielerin auch mußte. Doch sie konnte es sich noch nicht vorstellen, wie sie als über Dreißigjährige unattraktive Versagerin sich auch innerlich in eine erfolgreiche, schöne Frau verwandeln sollte.
Fest stand, daß der Verwandlungsprozess nicht vor Freunden oder Feinden stattfinden durfte. Wenn die ganze Welt einmal ihre Bühne sein sollte, durfte sie niemandem gestatten, ihr beim Umziehen in der Garderobe zuzusehen. Molly würde ihr ohnehin einreden wollen, daß sie ganz in Ordnung sei und keine Verbesserung brauchte. Wäre Bethanie dagewesen, hätte sie in der Überzeugung ihrer Schönheit die Überlegenheit ausgespielt und hilfreiche Ratschläge gegeben. Neil würde, sollte er ihr je vergeben, Witze über ihre Pläne reißen und sie zum Lachen bringen. Doch all das half Mary Jane im Grunde nicht weiter. Ohne den drastischen Schritt, den sie plante und ohne dessen erfolgreiche Durchführung brauchte Mary Jane auf keine Hauptrolle mehr zu hoffen. Weder Sam noch sonst ein Mann würde sie jemals um ihrer selbst willen lieben. Ihre Freunde irrten, wenn sie etwas anderes behaupteten. Mit frommen Lügen war Mary Jane indessen nicht geholfen. Die Mary Jane, die ihre Freunde kannten, war in dem verlotterten Bauernhaus im Norden des Staates New York gestorben.
Mary Jane mußte also untertauchen. Das konnte nicht so schwierig sein. Ausziehen und keine Nachsendeadresse hinterlassen. Mary Jane besaß ja keine Familie, der sie ihren Aufenthalt hätte mitteilen müssen. Die Auseinandersetzung mit Neil verschaffte ihr ihm gegenüber eine gute Ausrede, warum sie sich nicht meldete, und Sam hatte offensichtlich nicht vor, sich je wieder mit ihr in Verbindung zu setzen. Also mußte sie nur Molly und ihren anderen Freunden sagen, daß sie einen Aushilfsjob angenommen hatte. Von dem kehrte sie eben nicht zurück.
Mary Jane machte Bestandsaufnahme ihrer Finanzen. Auf dem laufenden Konto hatte sie 1471 Dollar, auf dem Sparbuch 3054. Das Geld ihrer Großmutter hatte sie bereits in einem Safe ihrer Bank deponiert. Das wollte sie nur für die Operation antasten. Da sie im nächsten Jahr nicht vorhatte zu jobben, und das wohl auch gar nicht konnte, brauchte sie mehr als das, was sie besaß, auch wenn sie noch so sehr sparte.
Zunächst einmal gedachte sie zu verkaufen, was sich verkaufen ließ. Da sie aber fast immer kurz vor der Pleite gestanden hatte, bestand ihre Wohnungseinrichtung sowieso schon vorwiegend von der Heilsarmee oder aus Secondhand-Shops. Das brachte also praktisch nichts. Mehr versprach sie sich von ihren Büchern und der Schallplattensammlung. Auch die Stereoanlage ließ sich zu Geld machen und ihr Fernseher. Das würde wohl ein paar Hunderter bringen. Sie mußte sich auch von den Uraltmodellen ihrer Kleider trennen, die sie über Jahre gesammelt hatte: Seidenkleider, Kroko-Taschen, Unterröcke aus Taft, Reifröcke. Sie hatte diese Schätze meist auf Flohmärkten aufgetrieben, sie liebevoll und sehr behutsam gewaschen, gebügelt und ausgebessert. Tatsächlich hatte sie die altmodischen aber reizvollen Roben auch getragen. So lenkte sie die Blicke auf ihre Kleidung und von ihrer Figur ab. Manches dieser alten Stücke war wertvoll geworden. Sie kannte einen Händler in Soho, der sich auf so etwas spezialisiert hatte und rechnete mit einigen tausend Dollar.
Außerdem konnte Mary Jane ihre Wohnung untervermieten. Das brachte ihr eine kleine, aber regelmäßige
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