Die schoenen Hyaenen
Einnahme. Es gab genügend Interessenten in diesem Theaterviertel, die auf so eine Wohnung scharf waren. Alles in allem errechnete Mary Jane eine Summe von etwa elftausend Dollar.
Sie besaß noch ihre Angestelltenversicherung. Die belief sich zur Zeit auf achttausend Dollar. Doch wenn sie die einlöste, gingen davon nicht nur die Steuern ab. Sie verlor auch jeden Anspruch auf Altersgeld. Allerdings brachten achttausend Dollar sie auch nicht weiter, wenn sie einmal fünfundsechzig war. Sie beschloß also, auch die Versicherung zu Geld zu machen und ihre Konten aufzulösen. Später wollte sie ein neues eröffnen. Die Bankangestellten kannten Mary Jane, und sie wollte vermeiden, daß man über sie redete, wenn sie sich veränderte, Verbände trug oder ihr Gesicht entstellt war.
Die billigste Art zu wohnen war eine Wohngemeinschaft. Doch dabei mußte sie auch mit Fragen rechnen. Andererseits konnte Mary Jane auch nicht ganz auf Menschen verzichten, für den Fall, daß sie einmal Hilfe brauchte. Also mußte sie ein Zimmer in einem billigen Hotel finden, wo die Durchreisenden keine Notiz von ihr nahmen und an der Rezeption keine Fragen gestellt wurden, solange sie ihre Rechnungen pünktlich beglich.
Das Fitnessprogramm stellte Mary Jane vor weitere Probleme. Den Vorteil eines Hotels sah sie darin, daß sie keine Kochmöglichkeit haben würde. Damit käme sie nicht in Versuchung, sich zwischendurch einen Topf Nudeln zu kochen. Tatsächlich stellte Dr. Moores Bedingung Mary Janes vordringlichste Aufgabe dar. Ihr Leben lang hatte sie fünfzehn Pfund Übergewicht mit sich herumgeschleppt. Mal hatte sie ein wenig ab-, dann wieder zugenommen. Normalerweise hätte sie Größe 42 tragen müssen. Doch ihr paßte nur Größe 44. Im letzten Jahr hatte sie sogar sehr stark zugenommen. Doch vierzig Pfund erschienen ihr ungeheuer viel.
Aus ihrer Krankenpflegezeit kannte sie sich mit Kalorientabellen aus. Sie errechnete, daß sie bei zwei Pfund wöchentlichem Gewichtsverlust Dr. Moore erst in zwanzig Wochen würde aufsuchen können. Doch wenn sie noch weniger Kalorien zu sich nahm, würde sie ständig Hunger haben und wahrscheinlich zu trinken anfangen.
Für Fitnessstudios fehlte ihr das Geld. Sie mußte ihr Gewicht durch Gehen vermindern. Sie ging gern zu Fuß. Das kostete nichts und bewahrte sie auch vor Ausrutschern, solange sie nicht beim Gehen Süßigkeiten naschte. Sie glaubte, am Tag mindestens 15 Kilometer laufen zu müssen.
Wenn sie konsequent blieb, mußte sie das erforderliche Gewicht eigentlich in vier Monaten herunter haben. Schnelleres Abnehmen hatte auch zur Folge, daß der Erfolg nicht dauerhaft war. Zudem setzte sie dabei ihre Gesundheit aufs Spiel.
Was ihren Berufsplan anlangte, nahm sie sich vor, einen neuen Lebenslauf zu schreiben sowie Briefe an die Theatergesellschaften der Westküste. Sie mußte nach der Gesichtschirurgie neue Fotos anfertigen lassen, und sie brauchte einen neuen Namen.
Wenn sie ihren Namen änderte, mußte sie auch ihren Ausweis bei der Berufsgenossenschaft für Schauspieler aufgeben. Dabei hatte sie damals keine Mühe gescheut, um in die Berufsgenossenschaft aufgenommen zu werden. Sich davon zu trennen, fiel ihr fast am schwersten von allem. Darin unterschieden sich nämlich die Profis von den Anfängern. Es wurde immer nach der Zugehörigkeit zur Berufsgenossenschaft gefragt'. Wenn Vorsprechtermine bekanntgegeben wurden, stand immer dabei: Nur für Mitglieder der Berufsgenossenschaft. Doch es ließ sich nicht ändern. Die Mitgliedschaft hatte ihr am Ende ja nichts genützt.
Leider mußte sie auch auf ihren größten Triumph verzichten: Die Rolle der Jill. Die durfte sie in ihrem neuen Lebenslauf nicht erwähnen.
Mary Jane streckte sich. Draußen wurde es dunkel. Die Menschen gingen nach Hause. Um die Zeit immer von Osten nach Westen. Wurden sie alle von Familien erwartet? Freuten sie sich auf eine leckere warme Mahlzeit, eine liebevolle Umarmung, vielleicht ein bißchen Spaß und Lachen nach einem Tag harter Arbeit? Einen Augenblick lang fiel ein schwerer kalter Mantel von Selbstmitleid über sie.
Nur einen Augenblick lang. Dann kehrte ihre Energie zurück. Sie verdrängte die Selbstzweifel, verdrängte die gehässigen Bemerkungen ihrer Großmutter. Sie sagte sich: Ich bin nicht mehr die, die ich einmal war.
20.
Die Nachmittagssonne warf lange Schatten um Tante Robbies Pool. Lila lag bäuchlings auf einer Liege, das Bikinioberteil offen, damit sie die ganze Kraft der Sonne spürte,
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