Die schoenen Muetter anderer Toechter
nur die Hälfte, weil ich mich in diesem Metier nun mal nicht auskenne …« Es folgte eine ausladende Handbewegung in den Raum hinein. »Lena sagt immer, es sei doch alles gar nicht so anders. Es gehe doch nur darum, dass sie nicht mit Männern, sondern mit Frauen ins Bett geht.«
Das sagte Lena?
Frau Rose trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Was denken Sie dazu? Sie sehen nicht zufrieden aus mit dieser Aussage.«
»Ist mir das anzusehen?«
»Ich sehe es.«
Wir maßen uns kurz mit Blicken. Aber es wurde kein ernster Wettkampf. Wir lächelten beide.
»Ich finde, diese Aussage vereinfacht einen Sachverhalt, der in Wahrheit viel komplexer ist. Es steckt noch so viel mehr dahinter. Feminismus. Das ist eine politische Gesinnung. Ein Gefühl von anderer Gemeinsamkeit. Lesbisch zu sein, bedeutet nicht nur, mit Frauen zu schlafen, sondern auch mit Frauen zu leben. Die Belange von Frauen sind wichtig.«
»Sehen Sie!«, schalt Frau Rose triumphierend und drosselte mit einem säuerlichen Blick auf ihr Weinglas gleich wieder ihre Lautstärke. »Das sage ich Lena auch immer.«
Der Teil meines Hirns, der für Diskussionen geschaffen wurde, konnte es nicht dabei belassen. »Außerdem leben wir notgedrungen sehr viel anders, wenn wir uns nicht verstecken wollen. Das Coming-out verändert vieles im Leben, manchmal alles. Die Welt sieht einen mit anderen Augen an. Man selber muss lernen, selbstbewusst zu sich zu stehen. Es gibt manchmal nirgendwo einen Platz zum Verkriechen und Verstecken. Wenn man es allen sagt, haben alle die Möglichkeit, einen zu verletzen.«
Jetzt schwieg sie betroffen.
»So habe ich das noch nie gesehen«, murmelte sie schließlich. »Ich dachte immer … Lena tut immer so, als hätte es nur mit viel Stolz und Spaß zu tun. Warum sagt sie mir so etwas nicht?«
»Eltern sind oft diejenigen Personen, die uns am meisten verletzen können«, wagte ich eine vorsichtige Andeutung.
»Wem sagen Sie das?« Frau Rose zog mit dem Finger den Rand des Bierdeckels nach. »Meine Mutter hätte mich in die Verzweiflung treiben können mit ihrer Ablehnung, wenn ich nicht eine Fluchtmöglichkeit gehabt hätte.«
Ich fand es bemerkenswert, dass sie in diesem Zusammenhang über sich zuerst als Tochter und nicht als Lenas Mutter sprach.
»Sie sind abgehauen?«
Sie lachte auf, ein kurzes bitteres Lachen.
»Abhauen? Wohin? Als Kind in den Sechzigern, in denen alle von Revolution und Aufstand johlten. Nur die eigene Mutter achtet auf spießige Benimmformen und kennt nichts Wichtigeres als die neusten Moden aus Paris. Schicke Kleidung als A und O des Lebens, innere Werte zählten nicht. Und ich als Modepüppchen, als Kleiderständer für die neusten Kinderklamotten. Ein Vorführmäuschen, das jedem schmierigen Onkel brav ein Küsschen geben musste. Wohin hätte ich schon gehen können? Nein, ich meine damit eine andere Fluchtmöglichkeit. Ich stellte mir vor, woanders zu sein.«
»Woanders?«
»Nicht etwa nebenan oder am anderen Ende der Stadt oder so, sondern … weit weg. Ich träumte von den Känguruhs in Australien, stürzte mich in die Kultur und Spiritualität der Maori auf Neuseeland. In Amerika gab es die Rocky Mountains, die riesigen Canyons, die Nationalparks mit all ihren Tier- und Pflanzenarten. Und Brasilien lockte mich mit seinem Amazonasgebiet, dem riesigen Fluss und dem Dschungel. China war so geheimnisvoll und Japan so streng, Indonesien spielerisch. Ich las alles, was ich über fremde Länder erfahren konnte. Und die konnten gar nicht weit genug weg sein.«
Ich betrachtete sie, wie sie mit ihrem apart geschnittenen kurzen Haar und der luftigen Seidenbluse mir gegenüber am Tisch saß, schon mehr als leicht angetrunken, gesprächig und entspannt. Ich stellte sie mir als Mädchen vor, in süßen Pariser Kleidchen, vielleicht mit langen Zöpfen, wie sie Bücher wälzte und vor Zeitschriften saß, neben sich einen Atlas, über dessen Seiten sie mit dem Zeigefinger fuhr.
»Eine Reisende im Geiste«, nannte ich sie, und ihr Mund wiederholte tonlos diese Bezeichnung.
Dann lächelte sie zufrieden. »Klingt hübsch.«
»Klingt wunderschön«, sagte ich.
Wieder sahen wir uns an.
›Seltsam, dass sie Lenas Mutter ist‹, dachte ich. ›Lena und sie sehen sich zwar verdammt ähnlich, aber ansonsten haben sie keinerlei Ähnlichkeit miteinander.‹ Sie benutzten andere Gesten, lachten anders, schauten mich anders an. Lenas Blick war stets scheu und ein wenig verlegen, als fühle sie sich überall fremd
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