Die schoenen Muetter anderer Toechter
sein konnte. Während das milchige Licht durchs Zimmer floss, wurde mir mit jeder Minute klarer, dass ich trotz aller scheinbaren Nähe nicht mehr über Lena wusste.
Unsere Begegnung erinnerte mich an ein Erlebnis vor vielen Jahren. Als ich noch zum Volk der Zwerge gehörte, manche Leute nennen das Kindheit, hatten meine Eltern und ich einmal an einer langen Wanderung der Gemeinde teilgenommen. Viele Familien trabten fröhlich drauflos, aber irgendwann stellte sich heraus, dass meine Beine dem Tempo und den Kilometern nicht gewachsen waren. Meine Mutter blieb erleichtert mit mir auf einer sonnigen Lichtung zurück, wo die anderen uns etwa zwei Stunden später wieder abholen wollten.
Wir lagen im Gras, lauschten dem Blätterrauschen, und meine Mutter schlief ein, während ich in Wolkengebilden Elefanten und Glücksdrachen entdeckte.
Ich sah den jungen Rehbock erst, als er schon auf wenige Meter in unsere Nähe gekommen war. Zuerst dachte ich, er habe uns nicht gesehen. Aber dann merkte ich, dass er uns beim Grasen genau im Auge behielt und sich auf diese Weise immer näher an uns heran manövrierte.
Schließlich stand er direkt neben mir. Ich rührte mich nicht und wagte kaum zu atmen, aus Angst ihn zu verscheuchen. Meine Hand, die ich weit von mir ins Gras gestreckt hatte, wollte so gern über das goldfarbene Fell streichen, die feucht glänzende schwarze Nase berühren. Aber sie lag ganz still auf dem Boden und bewegte sich keinen Millimeter.
Das schmale Rehmaul schob sich vorsichtig heran. Stückchen für Stückchen näher. Er schnupperte an meinen Fingern. Ich konnte seinen Atem als warmfeuchten Hauch in meiner Handinnenfläche spüren. Ich selbst atmete vor lauter Anspannung einmal tief aus, und der junge Rehbock sah mich aus riesigen Augen lange prüfend an.
Dann wandte er den Kopf zum Waldrand, blähte seine Nüstern, wandte sich um und trabte mit raschen, tänzelnden Schritten über die Lichtung davon. In wenigen Augenblicken war das Tier zwischen den Bäumen verschwunden.
Dies war die zauberhafteste Begegnung meines Lebens gewesen. Auch wenn ich vom ersten Moment an wusste, dass sie sehr flüchtig sein würde und einzigartig. Ich hatte die Berührung genossen, auch wenn mir ganz klar war, dass wirkliche Nähe ausgeschlossen bleiben würde.
Am nächsten Morgen flitzte ich zum Bäcker, während Lena noch schlummerte. Sie genoss den Luxus, im Bett zu frühstücken und führte sich auf wie eine Prinzessin. Doch eine Erbse würde sie unter meiner Matratze wohl nicht entdecken.
Doch so sehr ich mich auch ins Zeug zu werfen bereit gewesen war, ich fühlte mich nicht unbedingt so, wie ich es vom Morgen nach der ersten Liebesnacht gemeinhin erwarte. Es herrschte eine sonderbar aufgeräumte Stimmung zwischen uns. Lena sprach von der Uni, ihrem Seminar, das sie heute Morgen geschwänzt hatte, und von dem, zu dem sie gleich noch pünktlich kommen würde. Ich versuchte nicht, sie in meine Arme zu ziehen oder sie zu küssen. Und sie tat dies ihrerseits auch nicht. Ein bisschen kam es mir so vor, als hätten die Ereignisse des vergangenen Abends gar nicht stattgefunden.
Dann kam Lena auf das von mir vorgeschlagene Abendessen zu sprechen. Wir stellten eine kleine Gästeliste zusammen. Darauf standen an erster Stelle: Angela, Volker , denn die beiden waren ja die Ehrengäste, auch wenn sie nichts davon erfahren würden. Lena hatte zwischen den Namen das Wörtchen ›und‹ diktiert, das ich aber geflissentlich überhörte und nicht notierte.
Ich schrieb uns auch mit auf die Liste, weil ich es hübsch fand, unsere Namen direkt nebeneinander auf dem abgerissenen Notizblockzettel stehen zu sehen. Es folgten noch: Nancy, Ellen, Jackie, Frederike, Karolin.
»Wir müssen auch ein paar Männer einladen«, grübelte Lena. »Volker fühlt sich sonst am Ende noch wie der Hahn im Korb, dreht mächtig auf, und Mama ist erst recht auf der Palme. Oder er ist so eingeschüchtert von dem ganzen Lesbenbrimborium, dass er keinen Ton rausbekommt.«
»Ich könnte meine Arbeitskollegin Frauke mit meinem besten Freund Lothar einladen«, überlegte ich und nahm mir vor, Frauke heute anzurufen und um eine Aussprache zu bitten.
»Okay. Dann lade ich noch Jan und Ulli ein. Die beiden sind zwar schwul, aber männlich genug, um Volker Konkurrenz zu machen«, meinte Lena und zählte auf der Liste noch einmal nach.
»Oh«, machte sie dann. »Das sind ja genau dreizehn …«
»Aber Lena!«, sagte ich lachend, »du bist doch nicht
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