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Die schoenen Muetter anderer Toechter

Die schoenen Muetter anderer Toechter

Titel: Die schoenen Muetter anderer Toechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Muentefering
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Antwort. Trotzdem schüttelte ich lächelnd den Kopf.
    »Du scheinst deinen Kater gut verkraftet zu haben«, konnte ich mir nicht verkneifen.
    Sie grinste nur noch breiter.
    »Einen derartigen Fehltritt traut mir biederem Gerät sowieso niemand zu. Vor dir steht der Beweis. Mein Hausarzt diagnostizierte mich auf Frühjahrsgrippe. Jetzt habe ich bis zum Wochenende frei.«
    »Aber das ist doch super«, sagte ich. »Du kannst dicke Bücher lesen, nachts fernsehen und Briefe an alte Freundinnen schreiben.«
    Die Vase in den Händen, sah Angela mich kurz an. Ihr Blick war sehr lebendig. Ich glaubte, sie mochte, was ich ihrer Freizeit so zugedacht hatte.
    »Tja, das klingt wirklich toll, nicht? Aber weißt du was? Mir fällt hier die Decke auf den Kopf. Statt all diese herrlich faulen Dinge zu tun, hätte ich viel mehr Lust, ein wenig rauszufahren.«
    In meinen Händen und Füßen kribbelte es plötzlich. Ich wusste, ich sollte zur Uni-Bibliothek fahren und schauen, ob ich zufällig Lena und vor allem Nancy dort finden konnte. Doch das Kribbeln stieg bereits in meinen Armen und Beinen herauf. Es war kaum noch zurückzuhalten.
    »Kennst du den Üschker See?«, fragte ich.
    Angela wiegte den Kopf. »Ich war vor Jahren mal da. Ach, das ist irrsinnig lange her. Lena war noch klein. Ich habe kaum noch eine Ahnung, in welcher Richtung der liegt.«
    »Es ist zwar eine kleine Strecke, aber es lohnt sich. Pack ein paar Handtücher ein und zwei Äpfel. Wir fahren hin!«, beschloss ich. Das Kribbeln durchströmte jetzt meinen ganzen Körper. Ja, genau das wollte ich tun! Zum See fahren. Die Natur sehen, und hören, und riechen. Vielleicht könnte ich dort ein Stückchen meiner Alm wiederfinden.
    Mir gegenüber leuchteten die grünen Augen auf.
    »Ich zieh mich nur schnell um!« Sie lief leichtfüßig durch die Wohnung und verschwand dann im Bad.
    Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Ich sah neugierig hinein. Zwei der drei fensterlosen Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Büchern gefüllt. Wer so viele Bücher hatte, war bestimmt stolz darauf und hatte gewiss nichts dagegen, wenn ich sie mir mal etwas genauer ansah.
    Es gab alles. Von klassischer Literatur wie Tolstoi und Thomas Mann über Brecht, Heine, Woolf, Lasker-Schüler bis hin zu brandneuen Belletristikwerken. Auch ein bisschen Frauenliteratur war vertreten. Allerdings genau die Literatur, von der meist Männer glauben, dass alle Frauen zwischen zwanzig und siebzig darauf abfahren. Die Buchrücken wirkten nicht missbraucht, wie man es bei den Büchern von Weniglesern häufig sieht, waren jedoch an einigen Stellen lebendig eingeknickt. Sie musste all diese Bücher wirklich gelesen haben.
    ›Eine echte Leseratte also‹, dachte ich respektvoll. ›Sie nimmt alles, was sie kriegen kann und behält das Beste davon.‹
    Und das Allerbeste fand sich in dem Regal zu meiner Linken. Da standen sie nämlich, die Bücher zu ihren Reisen im Geiste. Wunderschöne, riesige Bildbände wechselten sich ab mit Reiseberichten und Tourenführern. Ich fuhr mit den Fingern an den Büchern entlang, die nach Ländern und dann nach Städten geordnet waren. Sie hatte in den letzten zwanzig Jahren in ihren Träumen fast die ganze Welt bereist. Mir fiel kein einziges Land ein, dessen Name ich nicht hier gefunden hätte. Und darüber hinaus fand ich noch sehr viele andere Namen, die mir gewiss nicht eingefallen wären.
    Jeder, der diese Bücherwand sah, würde annehmen, Angela sei eine echte Weltenbummlerin und weitgereist. Welche Länder sie wohl tatsächlich schon einmal gesehen hatte?
    »Andere haben eine Schatztruhe, ich habe ein Bücherregal«, ertönte ihre Stimme von der Tür her.
    Ich erschrak nicht. Fast hatte ich ihre Anwesenheit hinter mir gespürt.
    »Bemerkenswert, dass jemandem seine Träume auf unbehandelten Holzbrettern unterbringen kann«, sagte ich.
    Angela trat zu mir und zog zielsicher ein großformatiges Buch aus der Front der vielen hundert anderen. Es klappte schon von selbst an einer Stelle auseinander, die gewiss schon viele Male aufgeschlagen worden war. Das Bild darin reichte über beide Seiten und zeigte in wunderbarsten Farben ein Stück felsenzerklüfteten Strand, hinter dem sich ein undurchdringlicher Urwald erhob. Über den entfernt liegenden Bergen am Horizont hing ein leuchtender Regenbogen.
    Mir stockte der Atem.
    »Neuseeland«, sagte Angela. »Kennst du einen Ort, an dem du lieber begraben wärst?«
    »Nein«, antwortete ich ihr ehrlich. Dann musste ich lachen.

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