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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Bündel auf die Couch fallen, rannte in die Küche und rief: »Tana! Tana!«
    Dann, ohne Vorwarnung, spürte sie, wie andere Arme sie umschlossen, spürte, wie sie vom Sofa gehievt wurde. Joe Hull hatte sie in die Höhe gehoben, in seinem Rausch versuchte er, Dick nachzuahmen.
    »Setzen Sie mich ab!«, sagte sie schneidend.
    Sein trunkenes Lachen und der Anblick seines stacheligen gelben Kinns dicht vor ihrem Gesicht riefen in ihr unerträglichen Ekel hervor.
    »Und zwar sofort!«
    »The – pan-ic…«, setzte er an, weiter kam er aber nicht, denn Gloria holte rasch aus und verpasste ihm eine Maulschelle. Hierauf ließ er sie augenblicklich los, sie stürzte [316] zu Boden und stieß im Fallen mit der Schulter gegen den Tisch…
    Dann schien das Zimmer angefüllt von Qualm und Menschen. Da war Tana in seinem weißen Mantel und taumelte, gestützt von Maury, umher. Seiner Flöte entlockte er eine sonderbare Klangmischung, die, wie Anthony rief, ein »japanisches Eisenbahnlied« sein sollte. Joe Hull hatte eine Schachtel Kerzen gefunden, mit denen er jonglierte. Jedesmal, wenn er danebengriff, schrie er: »Eine weniger!« Dick tanzte allein in selbstvergessenen Pirouetten durchs ganze Zimmer. Es kam ihr vor, als taumele alles im Raum in grotesken vierdimensionalen Drehungen durch einander überlagernde Ebenen blauen Dunstes.
    Draußen war ein unglaubliches Gewitter losgebrochen – wenn es vorübergehend nachließ, war zu hören, wie die hohen Sträucher gegen das Haus peitschten und der Regen auf das Blechdach über der Küche prasselte. Die Blitze wollten schier kein Ende nehmen und zogen schwere Donnerschläge nach sich, wie Roheisen im Innern eines weißglühenden Hochofens. Gloria sah, dass es durch drei der Fenster hereinregnete – schaffte es aber nicht, sich von der Stelle zu rühren, um sie zu schließen…
    Sie stand in der Diele. Sie hatte gute Nacht gesagt, doch niemand hatte sie gehört oder auf sie geachtet. Einen Augenblick lang wollte es ihr vorkommen, als habe etwas über die Geländerbrüstung gespäht, doch sie brachte es nicht über sich, ins Wohnzimmer zurückzugehen – lieber echter Wahnsinn als dieses Wahnsinnsgebrüll. Oben tappte sie nach dem Lichtschalter, konnte ihn aber in der Dunkelheit nicht finden; ein Blitzstrahl, der das Zimmer erhellte, zeigte [317] ihr deutlich den Schalter an der Wand. Als aber wieder undurchdringliches Schwarz sie umhüllte, entzog er sich ihren tastenden Fingern von neuem. So streifte sie ihr Kleid und ihren Unterrock ab und warf sich kraftlos auf die trockene Hälfte des halb durchnässten Bettes.
    Sie schloss die Augen. Von unten drang der verworrene Lärm der Zecher herauf, plötzlich unterbrochen vom Klirren zersplitternder Gläser und dem aufsteigenden Fragment eines lallend gegrölten Liedes…
    Mehr als zwei Stunden lag sie so da – wie sie sich hinterher ausrechnete, indem sie die einzelnen Zeitabschnitte zusammenzählte. Nach langer Zeit wurde sie inne, dass der Lärm unten nachgelassen hatte, das Gewitter nach Westen abzog und nur noch das nachklingende Rauschen des Regens zurückließ, der, schwer und leblos wie ihre Seele, auf die durchweichten Felder fiel. Dann ebbten Wind und Regen langsam und zögerlich ab, bis vor ihren Fenstern draußen nichts mehr zu hören war als ein leises Tropfen und das verspielte Rascheln der nassen Weinreben am Fensterbrett. Sie befand sich in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen, in dem weder das eine noch das andere vorherrschte… und wurde von dem Wunsch geplagt, ein Gewicht abzuschütteln, das sich auf ihre Brust gelegt hatte. Sie hatte das Gefühl, wenn sie nur weinen könnte, würde das Gewicht von ihr abfallen, und so presste sie die Augenlider zusammen und versuchte, einen Kloß im Hals zu entwickeln… Vergebens…
    Tropf! Tropf! Tropf! Das Geräusch war nicht unangenehm – wie der Frühling, wie ein kühler Regen in ihrer Kindheit, der im Hinterhof fröhlichen Matsch erzeugte und [318] den winzigen Garten begoss, den sie mit Miniaturrechen, -spaten und -hacke angelegt hatte. Tropf – tro-opf! Es war wie in jenen Tagen, da der Regen aus einem gelben Himmel fiel, der kurz vor der Dämmerung schmolz und einen leuchtenden Strahl Sonnenlicht diagonal in die feuchten grünen Bäume schoss. So kühl, so klar und sauber – und ihre Mutter dort im Mittelpunkt der Welt, im Mittelpunkt des Regens, geborgen, trocken und stark. Sie wünschte ihre Mutter herbei, aber ihre Mutter war tot, für immer außer Sicht-

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