Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
zwei weitere Männer gegeben; der erste war ein Marineoffizier gewesen, der in den ersten Kriegstagen durch die Stadt gekommen war. Er hatte übernachten müssen, um eine Zugverbindung zu bekommen, und lehnte eben lässig an einer der Säulen des Stonewall Hotel, als sie vorüberging. Er blieb vier Tage in der Stadt. Sie glaubte ihn zu lieben – überhäufte ihn mit jener ersten Hysterie der Leidenschaft, die sich ansonsten über den kleinmütigen Verkäufer ergossen hätte. Den Zauber hatte die Uniform des Marineoffiziers bewirkt – damals gab es davon nur wenige. Er verließ sie, vage Versprechungen auf den Lippen, und frohlockte, sobald er im Zug saß, weil er ihr seinen wirklichen Namen vorenthalten hatte.
    Die so ausgelöste Niedergeschlagenheit hatte sie in die Arme Cyrus Fieldings getrieben, Sohn eines Tuchhändlers am Ort, der sie eines Tages, als sie auf dem Gehsteig an ihm vorbeikam, von seinem Sportzweisitzer aus gegrüßt hatte. Seinen Namen kannte sie schon. Wäre sie in eine höhere Gesellschaftsschicht hineingeboren worden, so hätte auch er sie bereits vorher gekannt. Nun war sie etwas tiefer gesunken – und so lernte er sie doch noch kennen. Einen Monat später war er in ein Ausbildungslager gezogen, ein wenig geängstigt von der Intimität und ein wenig erleichtert, als er merkte, dass sie sich nicht allzuviel aus ihm machte und nicht der Typ war, der ihm jemals Unannehmlichkeiten bereiten würde. Dot romantisierte diese Affäre und [424] schmeichelte ihrer Eitelkeit damit, dass ihr der Krieg diese Männer entrissen habe. Sie redete sich ein, dass sie den Marineoffizier hätte heiraten können. Dennoch beunruhigte es sie, dass es innerhalb von acht Monaten drei Männer in ihrem Leben gegeben hatte. Mehr mit Furcht als mit Staunen im Herzen dachte sie, dass sie bald wie die »schlechten Mädchen« in der Jackson Street sein würde, die sie und ihre kaugummikauenden, kichernden Freundinnen drei Jahre zuvor fasziniert angestarrt hatten.
    Eine Zeitlang versuchte sie, sich zurückzuhalten. Sie ließ sich von Männern »aufgabeln«; sie ließ sich küssen und gestattete sogar, dass ihr gewisse andere Freizügigkeiten aufgezwungen wurden, fügte ihrem Trio jedoch niemanden mehr hinzu. Nach mehreren Monaten hatte sich ihre Entschlusskraft – oder vielmehr ihre quälend zweckmäßige Furcht – verbraucht. Mit dem Verstreichen der Sommermonate nahm ihre Unruhe zu, weil sie Leben und Zeit vertrödelte. Die Soldaten, die sie kennenlernte, standen gesellschaftlich einwandfrei unter ihr oder, weniger einwandfrei, über ihr – in welchem Falle sie sie nur benutzen wollten; es waren Yankees, barsch und grob, und sie schwärmten in großen Gruppen aus… Doch dann begegnete sie Anthony.
    An jenem ersten Abend war er wenig mehr als ein angenehm unglückliches Gesicht, eine Stimme, das Mittel, mit dem man sich eine Stunde vertrieb; als sie jedoch ihre Verabredung mit ihm an jenem Samstag einhielt, betrachtete sie ihn eingehender. Er gefiel ihr. Ohne es zu wissen, sah sie in seinem Gesicht die eigenen Tragödien gespiegelt.
    Wieder gingen sie ins Kino, wieder flanierten sie die schattigen, duftenden Straßen entlang, diesmal Hand in [425] Hand, und redeten ein wenig mit gedämpfter Stimme. Sie traten durch das Tor – auf die kleine Veranda…
    »Ich darf doch ein Weilchen bleiben, ja?«
    »Pst!«, wisperte sie. »Wir müssen ganz leise sein. Mutter ist noch wach und liest Snappy Stories. « Wie zur Bestätigung vernahm er drinnen das leise Knistern einer Seite, die umgeblättert wurde. Durch die Spalten der Jalousie drangen waagerechte Lichtstrahlen, die in dünnen Parallelen auf Dorothys Rock fielen. Die Straße war still, bis auf eine Gruppe von Menschen auf den Stufen eines Hauses auf der anderen Straßenseite, die ihre Stimmen von Zeit zu Zeit zu einem leisen Scherzlied erhoben:
    When you wa-ake
    You shall ha-ave
    All the pretty little hawsiz…
    Dann, als habe er auf einem Dach nebenan ihrer Ankunft geharrt, drang der Mond schräg durch die Weinreben und verlieh dem Antlitz des Mädchens die Farbe weißer Rosen.
    Plötzlich kam Anthony eine Erinnerung, so lebhaft, dass sie sich vor seinen geschlossenen Augen zu einem Bild fügte, deutlich wie eine Rückblende auf einer Kinoleinwand – eine aus der Zeit herausgelöste tauende Frühlingsnacht in einem halbvergessenen Winter vor fünf Jahren –, ein anderes Gesicht, leuchtend, blumenhaft, Lichtern zugewandt, die es ebenso verklärten wie die Sterne…
    Ah,

Weitere Kostenlose Bücher