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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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ergriffen hatte. Er war Soldat – alles, was nicht Soldat war, war Zivilist. Die Welt war vornehmlich in diese beiden Kategorien unterteilt.
    Es ging ihm durch den Kopf, dass alle geschlossenen Gruppen wie das Militär die Menschen in zwei Sorten unterteilten: sich selbst – und alle anderen. Für den Geistlichen gab es Klerus und Laienstand, für den Katholiken Katholiken und Nichtkatholiken, für den Neger Schwarze und Weiße, für den Häftling Gefangene und Menschen auf freiem Fuß und für den Kranken Kranke und Gesunde… So war er denn, ohne in seinem Leben auch nur einen [435] Gedanken daran verschwendet zu haben, Zivilist, Laie, Nichtkatholik, Nichtjude, Weißer, frei und gesund gewesen…
    Als sich die amerikanischen Truppen in die französischen und britischen Schützengräben ergossen, fand er unter den im Army and Navy Journal verzeichneten Verlusten die Namen vieler Harvard-Absolventen. Doch allem Blut und Schweiß zum Trotz schien die Lage unverändert, und er sah keine Aussicht auf ein baldiges Kriegsende. In den alten Chroniken schlug der rechte Flügel eines Heeres stets den linken Flügel des anderen, indes der linke vom rechten Flügel des Feindes besiegt wurde. Daraufhin traten die Söldner die Flucht an. Damals war alles so einfach gewesen, fast wie vorher abgesprochen…
    Gloria schrieb, sie lese viel. Ihr ganzes Leben sei verpfuscht! Inzwischen habe sie so wenig zu tun, dass sie ihre Zeit damit verbringe, sich vorzustellen, wie anders alles hätte ausgehen können. Ihre ganze Umgebung drohe ihr zu entgleiten – dabei habe sie doch noch vor wenigen Jahren scheinbar alle Fäden in ihrer kleinen Hand gehalten…
    Im Juni wurden ihre Briefe hastiger und seltener. Plötzlich schrieb sie nicht mehr davon, in den Süden kommen zu wollen.
    Niederlage
    Im März blühten im erwärmten Gras des Umlands Jasmin, Jonquillen und haufenweise Veilchen. Später erinnerte er sich besonders eines Nachmittags von so frischem und zauberhaftem Glanz, an dem er, als er im Schützengraben [436] stand und Schießscheiben markierte, einem verständnislosen Polen Swinburnes ›Atalanta in Calydon‹ rezitierte. Seine Stimme vermischte sich mit dem Knallen, Sirren und Spritzen der Kugeln über ihren Köpfen.
    Wenn des Frühlings Hunde…
    Peng!
    Dem Winter auf den Fersen sind…
    Piuuh!
    Füllt die Mutter der Monate…
    »He! Wach auf! Drei Punkte!«
    Die Straßen der Stadt träumten wieder schläfrig vor sich hin, und Anthony und Dot folgten müßig ihren Spuren vom vergangenen Herbst, bis er eine verträumte Zuneigung zu diesem Süden zu verspüren begann – ein Süden, so schien es, der mehr an Algier als an Italien gemahnte, dessen welkes Streben über unzählige Generationen hinweg in ein warmes, primitives Nirwana – ohne Hoffnung oder Sorge – zurückdeutete. Allen Stimmen war ein herzlicher, verständnisinniger Ton zu eigen. »Das Leben spielt uns allen denselben hübschen und quälenden Streich«, schienen sie in ihrem traurig-vergnügten Tonfall zu sagen, der anstieg und in einem unaufgelösten Mollklang endete.
    Ihm gefiel sein Friseurgeschäft, wo ihn ein bleicher, ausgezehrter Jüngling mit »Hi, Corporal« begrüßte, ihn [437] rasierte und ihm mit einer kühlen, vibrierenden Haarschneidemaschine schier endlos über den unersättlichen Schopf fuhr. Ihm gefiel Johnston’s Garden, wo sie tanzten, wo ein melancholischer Schwarzer einem Saxophon schmerzlich-sehnsuchtsvolle Musik entlockte, bis aus dem grellen Saal ein verzauberter Dschungel barbarischer Rhythmen und rauchigen Gelächters wurde, wo das ereignislose Verrinnen der Zeit unter den leisen Seufzern und sanften Koseworten Dorothys zu vergessen die Erfüllung allen Trachtens, aller Zufriedenheit war.
    Ihrem Charakter wohnte ein Unterton von Trauer inne, ein bewusstes Außerachtlassen aller Lebensumstände mit Ausnahme der angenehmen. Wenn sie sich, gedanken- und sorglos, wie eine Katze in der Sonne wärmte, blieben ihre violetten Augen offenbar stundenlang ohne Empfindung. Er fragte sich, was wohl ihre erschöpfte, schwunglose Mutter von ihnen hielt und ob sie in Augenblicken äußerster Skepsis das Wesen ihrer Beziehung erriet.
    Sonntagnachmittags gingen sie in der Umgebung wandern und lagerten sich hin und wieder am Waldrand auf trockenes Moos. Hier hatten sich Vögel eingefunden, wuchsen Veilchen und Hartriegel dicht an dicht; hier glänzten die uralten Bäume kristallen und kühl, empfindungslos gegen die giftige Hitze, die draußen flimmerte;

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