Die Schönen und Verdammten
kleines Mädchen. Siehst du denn nicht, dass wir nur hinauszögern, was ohnehin passieren muss? In ein paar Monaten gehe ich nach Frankreich…«
Sie entzog sich ihm, ballte die Fäuste und hob ihr Gesicht zum Himmel.
[441] »Ich will sterben«, sagte sie, als forme sie jedes einzelne Wort sorgsam in ihrem Herzen.
»Dot«, flüsterte er verlegen, »du wirst darüber hinwegkommen. Die süßesten Trauben hängen am höchsten. Ich weiß es – weil ich früher einmal etwas gewollt und es bekommen habe. Es war das Einzige, was ich je ernstlich gewollt habe, Dot. Und als ich es in den Händen hielt, ist es mir zu Staub zerfallen.«
»Schon gut.«
Selbstverloren fuhr er fort: »Ich habe oft gedacht, wenn ich das, was ich wollte, nicht hätte, wäre es anders mit mir gekommen. Vielleicht hätte ich etwas Geistiges in mir entdeckt, und es hätte mir Freude bereitet, es in Umlauf zu bringen. Vielleicht hätte mich die Arbeit daran befriedigt und der Erfolg meiner Eitelkeit geschmeichelt. Ich nehme an, früher einmal hätte ich alles haben können, was ich wollte, aber das war das Einzige, was ich je inbrünstig wollte. Allmächtiger! Und gelernt habe ich daraus, dass man nichts haben kann, aber auch gar nichts. Denn unser Verlangen trügt uns ja doch nur. Es ist wie ein Sonnenstrahl, der in einem Zimmer hierhin tanzt und dorthin. Er hält inne und vergoldet irgendeinen unbedeutenden Gegenstand, und wir armen Narren versuchen, nach ihm zu haschen – doch kaum tun wir dies, da fällt der Sonnenstrahl auch schon auf etwas anderes, und wir halten nur das unbedeutende Ding in der Hand, der Glanz aber, der unseren Wunsch ausgelöst hat, ist verschwunden…« Betreten brach er ab. Sie hatte sich erhoben, stand trockenen Auges da und riss von einem dunklen Rebstock kleine Blätter ab.
»Dot…«
[442] »Geh«, sagte sie kalt.
»Was? Warum?«
»Ich will nicht nur Worte. Wenn das alles ist, was du mir geben kannst, dann solltest du besser gehen.«
»Aber Dot…«
»Was für mich den Tod bedeutet, ist für dich nur ein Schwall von Worten. Du verstehst sie so hübsch zu setzen.«
»Es tut mir leid. Ich habe von dir gesprochen, Dot.«
»Geh fort von hier.«
Er näherte sich ihr mit ausgestreckten Armen, aber sie stieß ihn fort.
»Du willst nicht, dass ich mit dir gehe«, sagte sie gefasst, »vielleicht willst du dich mit – mit diesem Mädchen treffen…« Sie brachte es nicht über sich, »mit deiner Frau« zu sagen. »Was weiß ich? Gut, dann denke ich, du bist nicht mehr mein Freund. Also geh.«
Widersprüchliche Warnungen und Wünsche bedrängten Anthony, und einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als sei dies einer der seltenen Anlässe, da er einen Schritt tun würde, zu dem er sich von innen heraus gedrängt fühlte. Er zögerte. Dann schlug eine Welle der Müdigkeit über ihm zusammen. Es war zu spät – alles war zu spät. Seit Jahren hatte er die Welt fortgeträumt und seine Entscheidungen auf Gefühle, so unbeständig wie Wasser, gegründet. Das kleine Mädchen im weißen Kleid vereinnahmte ihn mit der unerbittlichen Gleichmäßigkeit ihres Begehrens, wodurch ihre Schönheit nur noch gewann. Das Feuer, das in ihrem dunklen und gekränkten Herzen brannte, schien wie eine Flamme um sie her zu glühen. Aus unermesslich tiefem Stolz hatte sie sich ihm entzogen und so ihren Zweck erreicht.
[443] »Ich – ich wollte nicht so gefühllos erscheinen, Dot.«
»Ist schon gut.«
Das Feuer überrollte Anthony. Etwas zerrte an seinen Eingeweiden, und ratlos und geschlagen stand er da.
»Komm mit, Dot – kleine zärtliche Dot. Ach, komm nur mit. Ich könnte dich jetzt nicht mehr verlassen…«
Mit einem Schluchzer umschlang sie ihn und ließ sich von ihm stützen, während der Mond, auf ewig bemüht, den schlechten Teint der Welt zu verdecken, seinen verbotenen Honig über die schläfrige Straße goss.
Die Katastrophe
Anfang September in Camp Boone, Mississippi. Durch das Moskitonetz, unter dessen Schutz Anthony einen Brief zu schreiben versuchte, drang von Insekten wimmelndes Dunkel. Aus dem Nachbarzelt war ab und zu das Geplauder von Pokerspielern zu hören, draußen schlenderte ein Mann die Kompaniestraße entlang und sang einen Gassenhauer über »K-K-K-Katy«.
Anthony stützte sich mühsam auf den Ellbogen und betrachtete, den Bleistift in der Hand, das leere Blatt Papier. Dann begann er unter Auslassung der Anrede:
Ich weiß nicht, was los ist, Gloria. Seit zwei Wochen habe ich keine Zeile von Dir,
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