Die Schönen und Verdammten
Dunning einen Friseur, der sich freiwillig gemeldet hatte, kurzerhand in die Kompaniestraße, um ein Rasiermesser zu holen. Worauf der Verteidigung der Demokratie zuliebe von den Wangen dreier Italiener und eines Polen in Trockenrasur ein paar Gramm Haare geschabt wurden.
Aus der Außenwelt erschien von Zeit zu Zeit der Colonel in der Kompanie, ein massiger Mann mit schiefen Zähnen, [429] der den Exerzierplatz des Bataillons auf einem schönen Rappen umritt. Er war Absolvent der Militärakademie West Point und dem Gesichtsausdruck nach ein Gentleman. Er hatte eine schlampige Frau und einen schlampigen Verstand und verbrachte einen Großteil seiner Zeit in der Stadt, wo er sich die neuerdings gehobene gesellschaftliche Stellung der Armee zunutze machte. Zuallerletzt kam der General, der auf den Straßen des Lagers hinter einer Standarte herfuhr – eine so abweisende, unzugängliche, prächtige Gestalt, dass sie kaum fasslich war.
Dezember. Nachts jetzt kalte Winde und auf dem Exerzierplatz feuchte, kühle Vormittage. Mit abnehmender Hitze wurde Anthony zunehmend froh, am Leben zu sein. Da er sich merkwürdigerweise körperlich erneuert fühlte, sorgte er sich nicht oft und lebte in einer Art animalischer Genügsamkeit in der Gegenwart. Nicht etwa, dass Gloria oder das Leben, das Gloria repräsentierte, ihm nicht mehr so oft in den Sinn kam – es war nur so, dass sie Tag um Tag weniger wirklich, weniger lebendig schien. Eine Woche lang hatten sie leidenschaftliche, fast hysterische Briefe geschrieben – dann waren sie stillschweigend übereingekommen, sich nicht mehr als zweimal, schließlich nur noch einmal wöchentlich zu schreiben. Sie mopse sich, teilte sie mit; falls seine Brigade noch lange dort bleibe, werde sie kommen und zu ihm stoßen. Mr. Haight könne einen beweiskräftigeren Schriftsatz als erwartet vorlegen, bezweifle jedoch, dass das Berufungsverfahren vor Ablauf des Frühjahrs zur Anhörung gelangen werde. Muriel halte sich in New York auf und sei fürs Rote Kreuz tätig, und sie gingen ziemlich häufig [430] miteinander aus. Was Anthony davon halte, wenn sie zum Roten Kreuz ginge? Das Dumme sei nur, sie habe gehört, dass sie Neger in Alkohol baden müsse, und daraufhin habe ihr Patriotismus nachgelassen. Die Stadt wimmele von Soldaten, und sie habe eine Menge Jungs wiedergetroffen, die sie schon vor Jahren aus den Augen verloren habe…
Anthony wollte nicht, dass sie in den Süden käme. Er redete sich ein, dass es viele Gründe dafür gab – dass er Abstand von ihr brauche und sie von ihm. In der Stadt würde sie sich über die Maßen langweilen und Anthony jeden Tag nur wenige Stunden sehen. Aber zuinnerst befürchtete er, dass er nur deshalb dagegen war, weil er sich von Dorothy angezogen fühlte. Tatsächlich lebte er in ständiger Furcht, dass Gloria durch Zufall oder Absicht von der Beziehung erfahren könnte, auf die er sich eingelassen hatte. Nach vierzehn Tagen kamen in der Liaison Momente auf, da er sich der eigenen Untreue wegen elend fühlte. Dennoch, jedesmal wenn sein Dienst endete, brachte er es nicht fertig, der Verlockung zu widerstehen, und es trieb ihn unaufhaltsam aus seinem Zelt und ans Telefon im CVJM -Heim.
»Dot.«
»Ja?«
»Vielleicht kann ich heute Abend ausgehen.«
»Ich freue mich so.«
»Möchtest du ein paar Sternstunden lang meiner glänzenden Beredsamkeit lauschen?«
»Ach, du komischer…«
Einen Augenblick lang kam ihm eine Erinnerung an Jahre vorher – an Geraldine. Dann… »Ich komme gegen acht.«
[431] Um sieben saß er in einem Bus in Richtung Stadt, wo Hunderte von kleinen Südstaatlerinnen auf mondbeschienenen Veranden auf ihre Geliebten warteten. Er fieberte bereits ihren warmen, zögernden Küssen entgegen, den erstaunten, aber ruhigen Blicken, die sie ihm zuwarf – Blicke, die mehr als alle anderen, die ihm gegolten hatten, der Anbetung nahe kamen. Gloria und er waren gleichgestellt gewesen, hatten einander gegeben, ohne an Dank oder Verpflichtung zu denken. Für dieses Mädchen waren seine Liebkosungen eine unschätzbare Gnade. Leise weinend hatte sie ihm bekannt, dass er nicht der Erste in ihrem Leben war, dass es einen anderen gegeben hatte – er reimte sich zusammen, dass das Verhältnis geendet hatte, bevor es richtig begann.
Was ihn anging, so sprach sie tatsächlich die Wahrheit. Den Verkäufer, den Marineoffizier, den Sohn des Tuchhändlers hatte sie vergessen, vergessen die Lebhaftigkeit der eigenen Empfindungen, also wirklich
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