Die Schönen und Verdammten
und es ist nur natürlich, dass ich mir Sorgen mache…
[444] Gereizt murrend warf er den Bogen fort und fing von neuem an:
Ich weiß nicht, was ich denken soll, Gloria. Dein letzter Brief, kurz, kalt, ohne ein Kosewort oder auch nur eine ordentliche Schilderung, was Du getrieben hast, kam vor zwei Wochen an. Es ist nur natürlich, dass ich mich frage, was los ist. Mir scheint, wenn Deine Liebe zu mir nicht ganz und gar erloschen ist, solltest Du mir wenigstens ersparen, dass ich mir Sorgen mache…
Wieder zerknüllte er die Seite, warf sie wütend durch einen Riss in der Zeltwand, gleichzeitig war ihm klar, dass er sie am Morgen würde aufheben müssen. Ihm war nicht danach, es noch einmal zu versuchen. Er konnte seinen Zeilen keine Wärme verleihen – nur hartnäckige Eifersucht und Argwohn. Seit Mittsommer waren die Widersprüche in Glorias Korrespondenz immer auffälliger geworden. Zuerst hatte er sie kaum bemerkt. An die nichtssagenden Floskeln »Liebster« oder »Liebling«, die in ihre Briefe eingestreut waren, hatte er sich so gewöhnt, dass er ihre Gegenwart oder Abwesenheit gar nicht mehr wahrnahm. Aber in den vergangenen vierzehn Tagen hatte er zunehmend gespürt, dass irgendetwas nicht stimmte.
Er hatte ihr einen Eilbrief geschrieben, in dem er sie davon unterrichtete, dass er seine Prüfung für den Offiziersanwärterlehrgang bestanden habe und mit seiner baldigen Versetzung nach Georgia rechne. Sie hatte nicht geantwortet. Er hatte ihr gedrahtet – als er keine Nachricht erhielt, nahm er an, dass sie sich nicht in der Stadt aufhielt. Aber [445] immer wieder drängte sich ihm der Gedanke auf, dass sie sich sehr wohl in der Stadt aufhielt, und eine Reihe rasender Vorstellungen begann ihn zu plagen. Angenommen, Gloria, gelangweilt und rastlos, hätte – wie er selbst auch – einen anderen gefunden. Der Gedanke an die bloße Möglichkeit erschreckte ihn – vor allem deswegen, weil er sich ihrer persönlichen Integrität so sicher gewesen war, dass er im Laufe des Jahres kaum an sie gedacht hatte. Und nun, da ein Zweifel aufgekommen war, stürmte die alte Wut, die Rage des Besitzers, heftigst auf ihn ein. Was lag näher, als dass sie sich verliebt hatte?
Er erinnerte sich an Gloria und ihr Bekenntnis »Wenn ich etwas will, nehme ich es mir«. Und wie sie behauptet hatte, aus einer solchen Affäre unbefleckt hervorzugehen, da sie ausschließlich zu ihrer eigenen Befriedigung handele. Was zähle, sei lediglich die Wirkung auf das Gemüt eines Menschen, hatte sie gesagt, und sie reagiere auf männliche Art, mit Überdruss und leiser Abscheu.
Aber das war kurz nach ihrer Heirat gewesen. Später, als sie entdeckte, dass sie durchaus eifersüchtig sein konnte, hatte sie sich, wenigstens nach außen hin, eines Besseren besonnen. Es gebe in der Welt keine anderen Männer für sie. Das hatte er nur zu gut gewusst. Als er merkte, dass ihr die eigenen Ansprüche Zurückhaltung auferlegten, war er nachlässig geworden, was die Vervollkommnung ihrer Liebe anging – die schließlich der Eckstein des ganzen Baus sein sollte.
Unterdessen hatte er Dot den ganzen Sommer über in einer Pension im Stadtzentrum ausgehalten. Daher war es notwendig geworden, seinem Börsenmakler zu schreiben [446] und ihn um Geld zu ersuchen. Dot hatte ihre Reise nach Süden verheimlicht, indem sie einen Tag vor Abbruch des Brigadelagers aus dem Haus gegangen war und ihrer Mutter in einem Brief mitteilte, sie sei nach New York gefahren. Am folgenden Abend war Anthony vorbeigekommen, als wolle er sie besuchen. Mrs. Raycroft war dem Zusammenbruch nahe, und im Wohnzimmer saß ein Polizeibeamter. Es hatte sich ein Verhör ergeben, aus dem Anthony sich mit Mühe und Not herausgewunden hatte.
Im September wurde ihm Dots Gesellschaft wegen seiner Verdächtigungen gegen Gloria erst langweilig, dann fast unerträglich. Aus Mangel an Schlaf war er reizbar und nervös; sein Herz war krank und ängstlich. Drei Tage zuvor war er zu Captain Dunning gegangen und hatte um Urlaub nachgesucht, jedoch war ihm nur ein wohlwollendes Zaudern zuteil geworden. Während Anthony an dem Offiziersanwärterlehrgang teilnehme, werde die Division nach Übersee verlegt; was an Urlaub gewährt werden könne, müsse den Männern zugute kommen, die das Land verließen.
Daraufhin war Anthony zum Telegraphenamt gegangen, in der Absicht, Gloria zu kabeln, sie solle nach Süden kommen – an der Tür angelangt, machte er aber verzweifelt kehrt, erkannte er doch die
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