Die Schönen und Verdammten
guten Tag!« Sie sprach in der konventionellen Manier amerikanischer Damen. »Ach, ich freue mich ganz schrecklich, dich zu sehen…« Hastige Einwürfe von seiten Dicks, sodann: »Mr. Pats? Treten Sie ein und legen Sie Ihren Mantel dort ab.«
Sie deutete auf einen Stuhl und änderte ihren Tonfall zu einem nervösen Lachen voll winziger Japser. »Das ist aber reizend – wirklich reizend. Richard, du bist schon so lange nicht mehr hier gewesen – nein! – nein!« Letztere Einsilber dienten teils als Antwort auf einige vage Anläufe, die Dick nahm, teils als Schlusspunkt für dieselben. »Nun setz dich her und erzähl mir, was du so getrieben hast.«
Man trat von einem Fuß auf den andern; man stand da und verneigte sich in aller Liebenswürdigkeit; man lächelte aber- und abermals in unbeholfener Ratlosigkeit; man fragte sich, ob sie sich jemals setzen würde – schließlich ließ man sich dankbar in einen Sessel sinken und richtete sich auf eine angenehme Visite ein.
»Ich nehme an, es liegt daran, dass du viel zu tun hast – von allem andern einmal abgesehen«, sagte Mrs. Gilbert mit einem leicht zweideutigen Lächeln. Der Wendung »von allem andern einmal abgesehen« bediente sie sich, um allen ihren wackeligen Sätzen Halt zu verleihen. Sie hatte noch zwei weitere Floskeln: »jedenfalls bin ich der Meinung« und »schlicht und einfach« – diese drei im Wechsel gaben jeder ihrer Bemerkungen den Anstrich einer allgemeinen Meditation über das Leben, als habe sie sämtliche Angelegenheiten genau geprüft und schließlich das Fazit gezogen.
Anthony fiel auf, dass Richard Caramels Gesicht [57] mittlerweile ganz normal aussah. Stirn und Wangen hatten Fleischfarbe angenommen, die Nase war anständigerweise unauffällig. Mit dem hellgelben Auge hatte er seine Tante fixiert und schenkte ihr jene ungeteilte und übertriebene Aufmerksamkeit, die junge Männer in der Regel all den Frauen zukommen lassen, die ihnen nicht weiter von Nutzen sind.
»Sind Sie auch Schriftsteller, Mr. Pats? Nun, vielleicht können wir uns alle in Richards Ruhm sonnen.« – Freundliches Gelächter, angeführt von Mrs. Gilbert.
»Gloria ist ausgegangen«, sagte sie mit einer Miene, als lege sie ein Axiom fest, aus dem man irgendwelche Folgerungen ableiten konnte. »Sie ist auf irgendeinem Tanz. Gloria ist ständig auf Achse. Ich sage ihr immer, dass ich nicht verstehe, wie sie das verkraftet. Sie tanzt den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht hindurch, bis sie – wie ich meine – nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Ihr Vater macht sich große Sorgen um sie.«
Lächelnd blickte sie von einem zum andern. Beide lächelten zurück.
Anthony bemerkte, dass sie aus einer Reihe von Halbkreisen und Parabeln bestand, wie jene Figuren, die begabte Menschen auf einer Schreibmaschine hervorzaubern: Kopf, Arme, Büste, Hüften, Schenkel und Fesseln waren nichts als verwirrend übereinandergelagerte Rundungen. Sie war adrett und sauber, das Haar von einem künstlich reichen Grau; ihr großes Gesicht barg verwitterte blaue Augen und war von einem zarten weißen Schnurrbart verziert.
»Ich sage immer, dass Richard eine uralte Seele ist«, bemerkte sie zu Anthony.
In der gespannten Pause, die folgte, überlegte sich [58] Anthony eine geistreiche Antwort – etwa, dass man ja auch seit Urzeiten auf Dick herumtrampelte.
»Wir alle haben Seelen verschiedenen Alters«, fuhr Mrs. Gilbert fort, »jedenfalls bin ich der Meinung.«
»Vielleicht«, pflichtete ihr Anthony mit einem Ausdruck bei, als rege sich in ihm die Hoffnung auf eine vielversprechende Idee. Die Stimme plapperte weiter: »Gloria hat eine sehr junge Seele – verantwortungslos, von allem andern einmal abgesehen. Sie hat keinerlei Verantwortungsgefühl.«
»Sie sprüht geradezu, Tante Catherine«, sagte Richard freundlich. »Verantwortungsgefühl würde sie ruinieren. Sie ist zu hübsch.«
»Nun ja«, bekannte Mrs. Gilbert, »ich weiß nur, dass sie ständig auf Achse ist…«
Glorias diskreditierendes Auf-Achse-Sein ging im Rütteln des Türknaufs unter, der sich schließlich drehte, um Mr. Gilbert einzulassen.
Dieser war ein kleiner Mann mit einem Schnurrbart, der wie eine kleine weiße Wolke unter seiner nicht weiter bemerkenswerten Nase ruhte. Er hatte das Stadium erreicht, wo sein Wert als gesellschaftliches Wesen in den dunklen Bereich unter null gefallen war. Seine Ideen entsprachen den volkstümlichen Wahnvorstellungen von vor zwanzig Jahren; sein Geist steuerte einen
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