Die Schönen und Verdammten
findest du nicht?«
Anthony brummelte etwas und entzog ihm behutsam seinen Arm.
»Ich hab ja nichts dagegen, dich zu schleppen, Dick, aber mit dem Mantel…«
»Ich meine«, fuhr Richard Caramel feierlich fort, »der erste Absatz, den man zu Papier bringt, enthält die Idee, die man verwerfen oder ausbauen will. Im Gespräch muss man sich mit der letzten Behauptung seines Gegenübers befassen – aber wenn man einfach nur nachgrübelt, folgen die Ideen aufeinander wie die Bilder einer Laterna magica, und jede verdrängt die vorhergehende.«
Sie passierten die 45. Straße und verlangsamten ihre Schritte ein wenig. Beide zündeten sich Zigaretten an und bliesen ungeheure Wolken von Rauch und gefrorenem Atem in die Luft.
»Lass uns zum Plaza laufen und einen Eierflip trinken«, schlug Anthony vor. »Wird dir guttun. Die frische Luft verscheucht das scheußliche Nikotin aus unseren Lungen. Komm – darfst auch den ganzen Weg von deinem Buch reden.«
»Will ich doch gar nicht, wenn’s dich langweilt. Also wirklich, einen Gefallen brauchst du mir nicht zu tun.« Die [51] Worte kamen hastig herausgepurzelt, und obwohl er versuchte, ein gleichmütiges Gesicht aufzusetzen, verzog es sich vor Unsicherheit. Anthony sah sich gezwungen zu protestieren: »Mich langweilen? Aber mitnichten!«
»Hab da ’ne Cousine…«, setzte Dick an, doch Anthony fuhr ihm dazwischen, indem er die Arme ausbreitete und einen leisen Jubelschrei hauchte.
»Großartiges Wetter, nicht wahr!«, rief er aus. »Ich fühle mich wie zehn. Ich meine, ich fühle mich so, wie ich mich gefühlt haben muss, als ich zehn war. Mordsmäßig! O Gott, einen Augenblick liegt mir die Welt zu Füßen, und im nächsten schon bin ich ihr Narr. Heute liegt sie mir zu Füßen, und alles ist leicht, so leicht. Selbst das Nichts ist leicht!«
»Hab da ’ne Cousine im Plaza. Famoses Mädel. Wir könnten zu ihr hoch und sie besuchen. Im Winter wohnt sie da zusammen mit ihren Eltern – jedenfalls seit einiger Zeit.«
»Wusste gar nicht, dass du in New York Cousinen hast?«
»Sie heißt Gloria. Kommt aus meiner Gegend – Kansas City. Ihre Mutter ist praktizierende Bilphistin und ihr Vater ein ziemlicher Leimsieder, aber ein vollendeter Gentleman.«
»Was sind sie? Literarischer Stoff?«
»Sie geben sich jede Mühe. Der Alte sagt mir immer nur, er sei gerade der wunderbarsten Figur für einen Roman begegnet. Dann erzählt er mir von irgendeinem vertrottelten Freund und sagt: ›Das wäre doch eine Figur für dich. Weshalb verwendest du nicht den? Den fände doch jeder interessant.‹ Oder er erzählt mir von Japan, Paris oder irgendeinem anderen naheliegenden Ort und sagt: ›Weshalb schreibst du darüber keine Kurzgeschichte? Das wäre doch ein wunderbarer Schauplatz für eine Kurzgeschichte!‹«
[52] »Was ist mit diesem Mädchen?«, erkundigte sich Anthony beiläufig. »Gloria – Gloria, wie weiter?«
»Gilbert. Ach, du hast schon von ihr gehört – Gloria Gilbert. Geht auf Collegebälle – und all so was.«
»Ihren Namen habe ich schon mal gehört.«
»Gutaussehend – sogar verflucht attraktiv.«
Sie kamen zur 50. Straße und wandten sich zur Avenue.
»In der Regel mache ich mir nichts aus jungen Mädchen«, sagte Anthony stirnrunzelnd.
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Die durchschnittliche Gesellschafts-Debütantin schien ihm wohl mit nichts anderem befasst zu sein, als zu jeder Tagesstunde darüber nachzudenken und davon zu sprechen, welche Beschäftigung die große weite Welt während der nächsten Stunde für sie bereithalte, andererseits interessierte ihn jede kolossal, die offen von ihrem hübschen Aussehen lebte.
»Gloria ist verflucht nett – kein Grips im Kopf.«
Anthony lachte – ein einsilbiges Schnauben. »Damit meinst du wohl, dass sie nicht eine Zeile literarischen Jargons beherrscht?«
»Nicht doch.«
»Dick, es ist bekannt, was du bei einem Mädchen unter Grips verstehst. Ernsthafte junge Frauen, die sich mit dir in eine Ecke setzen und sich ernsthaft über das Leben unterhalten. Frauen, die, als sie sechzehn waren, mit feierlichen Gesichtern darüber stritten, ob Küssen etwas Rechtes oder etwas Unrechtes sei – und ob es unmoralisch sei, wenn Erstsemester Bier trinken.«
Richard Caramel war gekränkt. Sein finsteres Gesicht knitterte sich zusammen wie zerknülltes Papier.
[53] »Nein…«, fing er an, doch rücksichtslos unterbrach Anthony ihn.
»O doch. Frauen, die in ebendiesem Augenblick in irgendeiner Ecke
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