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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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über den neuesten skandinavischen Dante in englischer Übertragung zu Rate sitzen.«
    Dick drehte sich zu ihm um und machte ein wunderlich bestürztes Gesicht. Seine Frage klang fast wie ein Appell. »Was ist nur mit dir und Maury los? Manchmal redet ihr daher, als wäre ich eine Art Untergebener.«
    Anthony war verwirrt, aber ihm war auch kalt und leicht unbehaglich zumute, daher flüchtete er sich in den Angriff.
    »Ich glaube nicht, dass dein Grips wichtig ist, Dick.«
    »Und ob er wichtig ist!«, rief Dick verärgert aus. »Was willst du damit sagen? Weshalb sollte er nicht wichtig sein?«
    »Vielleicht weißt du zu viel für deine Feder.«
    »Das könnte ich gar nicht.«
    »Ich könnte mir einen Mann vorstellen«, beharrte Anthony, »der zu viel weiß, als dass er es bei seinem Talent ausdrücken könnte. Nimm mich als Beispiel. Angenommen etwa, ich wäre klüger als du, aber weniger begabt. Wahrscheinlich könnte ich mich nicht gut artikulieren. Du hingegen hast genügend Wasser, um den Eimer damit zu füllen, und einen Eimer, groß genug, um das Wasser aufzunehmen.«
    »Ich kann dir überhaupt nicht folgen«, beschwerte sich Dick in niedergeschlagenem Ton. So tief betroffen, schien er sich erst recht überall zu wölben. Er starrte Anthony durchdringend an, wobei er mehrere Passanten anrempelte, die ihn mit böse grollenden Blicken tadelten.
    »Ich meine damit nur, dass ein Talent wie das von H. G. [54] Wells die Intelligenz eines Herbert Spencer mitträgt. Aber ein minderes Talent kann nur dann geistreich sein, wenn es mindere Ideen mitträgt. Und je beschränkter der Blickwinkel, desto unterhaltsamer kann man über etwas schreiben.«
    Dick dachte nach, vermochte jedoch das genaue Ausmaß an Kritik, das Anthony mit seinen Bemerkungen beabsichtigte, nicht abzuschätzen. Mit jener Leichtigkeit, die er so häufig zu verströmen schien, fuhr Anthony fort. Die dunklen Augen in seinem schmalen Gesicht blitzten, und mit erhobenem Kinn, erhobener Stimme, erhobenem Körper sprach er: »Angenommen, ich wäre stolz, vernünftig und klug – ein Athener unter Griechen. Trotzdem könnte ich unterliegen, wo ein Geringerer obsiegen würde. Er könnte nachahmen, er könnte ausschmücken, er könnte schwärmen, er könnte eine Zukunftsvision schaffen. Doch mein angenommenes Ich wäre zu stolz, um nachzuahmen, zu vernünftig, um zu schwärmen, zu weltklug, um Utopist zu sein, zu sehr Grieche, um auszuschmücken.«
    »Dann glaubst du also nicht daran, dass der Künstler aus seiner Intelligenz heraus schafft?«
    »Nein. Hinsichtlich des Stils verbessert er immer nur, was er nachahmt, wenn er denn dazu imstande ist, und wählt aus seiner Deutung der Dinge um ihn her dasjenige aus, was seinen Stoff darstellt. Aber schließlich und endlich schreibt jeder Schriftsteller deswegen, weil es nun mal seine Lebensart ist. Sag mir bloss noch, dass dir das Gerede von der ›göttlichen Sendung des Künstlers‹ zusagt?«
    »Ich hab’s mir noch nicht mal angewöhnt, mich als Künstler zu bezeichnen.«
    [55] »Dick«, sagte Anthony und wechselte den Tonfall, »ich möchte dich um Entschuldigung bitten.«
    »Warum?«
    »Wegen dieses Ausbruchs. Es tut mir wirklich leid. Ich habe nur aus Effekthascherei geredet.«
    Leicht beschwichtigt, erwiderte Dick: »Ich hab ja schon immer gesagt, dass du im Grunde deines Herzens ein Philister bist.«
    Es dämmerte schon, als sie in der klirrenden Kälte unter der weißen Markise hindurch das Plaza Hotel betraten. Genüsslich kosteten sie von dem Schaum und dem dicklichen Gelb des Eierflips. Anthony musterte seinen Freund. Richard Caramels Nase und Stirn nahmen langsam die nämliche Hautfarbe an: Aus der einen wich das Rot, aus der anderen das Blau. Als Anthony in einen Spiegel schaute, war er froh zu sehen, dass sich seine Haut nicht verfärbt hatte. Im Gegenteil, in seinen Wangen war eine schwache Glut entfacht – er bildete sich ein, noch nie so gut ausgesehen zu haben.
    »Genug jetzt«, sagte Dick im Ton eines Athleten, der gerade trainiert. »Ich möchte hinaufgehen und die Gilberts besuchen. Willst du nicht mitkommen?«
    »Aber ja. Wenn du mich nicht den Eltern überlässt und dich mit Dora in eine Ecke stürzt.«
    »Nicht Dora – Gloria!«
    Ein Bediensteter kündigte sie über das Haustelefon an, und nachdem sie in den zehnten Stock hochgefahren waren, schritten sie einen verwinkelten Korridor entlang und klopften bei Nummer 1088. Eine Dame mittleren Alters öffnete – Mrs. Gilbert.
    [56] »Einen

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