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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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unsteten und unbestimmten Kurs im Kielwasser der Leitartikel. Nach seinem Abschluss an einer Universität im Westen – klein, aber oho! – hatte er sich auf die Zelluloidindustrie geworfen, und da diese lediglich das geringe Maß an Intelligenz erforderte, das er mitbrachte, hatte er etliche Jahre lang Erfolg gehabt – bis etwa 1911, als er gegen vage Zusagen der Filmindustrie mit [59] dieser Verträge einging. Um 1912 hatte die Filmindustrie beschlossen, ihn zu schlucken, und nun lag er ihnen sozusagen auf der Zunge – ein Leckerbissen. Unterdessen war er Geschäftsführer der Associated Mid-Western Film Materials Company geworden und verbrachte jedes Jahr sechs Monate in New York und die restliche Zeit in Kansas City und St. Louis. Leichtgläubig nahm er an, dass ihm etwas Gutes geschah – seine Frau dachte ebenso, und seine Tochter nicht weniger.
    Er missbilligte Gloria: Sie blieb lange aus, aß nichts Rechtes und stritt sich immer mit ihm – einmal hatte sie sich über ihn geärgert und ihm gegenüber Worte in den Mund genommen, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass sie zu ihrem Wortschatz gehörten. Seine Frau war umgänglicher. Nach fünfzehn Jahren ununterbrochenen Guerillakriegs hatte er sie besiegt – es war der Krieg eines verschwommenen Optimismus gegen organisierten Trübsinn, und etwas in der Anzahl der »Jas«, mit denen er ein Gespräch vergiften konnte, hatte ihm zum Sieg verholfen.
    »Ja-ja-ja-ja«, sagte er etwa, »ja-ja-ja-ja. Lass mich sehen. Das war der Sommer – lass sehen – einundneunzig oder zweiundneunzig – ja-ja-ja-ja…«
    Fünfzehn Jahre »Jas« hatten Mrs. Gilbert bezwungen. Fünfzehn weitere Jahre unaufhörlicher nichts bejahender Bejahung, begleitet vom ewigen Abstreifen der pilzförmigen Asche von zweiunddreißigtausend Zigarren, hatten ihren Widerstand gebrochen. Diesem ihrem Mann hatte sie jenes letzte Zugeständnis des Ehelebens gemacht, das vollständiger und unwiderruflicher ist als das erste – sie hörte ihm zu. Sie redete sich ein, ihre Ehejahre hätten sie [60] Duldsamkeit gelehrt – in Wahrheit hatten sie in ihr das letzte bisschen moralischen Mut abgetötet, das sie je besessen hatte.
    Sie stellte ihm Anthony vor.
    »Das ist Mr. Pats«, sagte sie.
    Der junge Mann und der alte kamen in Hautkontakt. Mr. Gilberts Hand war weich, schlaff wie das Fruchtfleisch einer zerquetschten Pampelmuse. Dann tauschten der Ehemann und seine Frau Grußworte aus – er sagte zu ihr, draußen sei es kälter geworden; er sagte, er sei zu einem Zeitungsstand in der 44. Straße gelaufen, um eine Zeitung aus Kansas City zu kaufen. Er habe vorgehabt, mit dem Omnibus zurückzufahren, habe es jedoch für zu kalt befunden, ja-ja-ja-ja, zu kalt.
    Mrs. Gilbert gab diesem Abenteuer Würze hinzu, indem sie sich von seiner Tapferkeit, der harschen Witterung zu trotzen, beeindruckt zeigte.
    »Du hast aber Mumm!«, rief sie bewundernd aus. »Du hast aber Mumm. Um nichts in der Welt wäre ich an die Luft gegangen.«
    Mr. Gilbert überging die Ehrfurcht, die er in seiner Frau hervorgerufen hatte, mit wahrem männlichem Gleichmut. Er wandte sich den beiden jungen Männern zu und fiel triumphierend mit dem Thema Wetter über sie her. Richard Caramel wurde aufgerufen, sich an den Monat November in Kansas zu erinnern. Kaum jedoch war ihm das Thema zugeschoben worden, da wurde es ihm von seinem Urheber auch schon wieder gewaltsam entrissen, fortentwickelt, befingert, in die Länge gezogen, und so wurde ihm schließlich der Garaus gemacht.
    [61] Die altbekannte Tatsache, dass die Tage an irgendeinem Ort heiß, die Nächte hingegen sehr angenehm seien, wurde mit Erfolg vorgetragen und die genaue Entfernung zwischen zwei Punkten entlang irgendeiner unbedeutenden Bahnstrecke festgelegt, die Dick versehentlich erwähnt hatte. Anthony fixierte Mr. Gilbert mit starrem Blick und verfiel in eine Trance, aus der er einen Augenblick später von Mrs. Gilberts lächelnder Stimme herausgerissen wurde: »Mir scheint, die Kälte hier ist feuchter – ich bin völlig durchgefroren.«
    Da diese Bemerkung, mit hinreichenden Jas versehen, auch Mr. Gilbert auf der Zunge gelegen hatte, konnte man es ihm nicht verdenken, dass er ziemlich abrupt das Thema wechselte.
    »Wo steckt Gloria?«
    »Sie müsste jeden Augenblick hier sein.«
    »Haben Sie schon meine Tochter kennengelernt, Mr.…?«
    »Hatte noch nicht das Vergnügen. Ich habe Dick oft von ihr sprechen hören.«
    »Sie und Richard sind Vetter und Base.«
    »Ach

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