Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
[74] Anthony gähnte unerträglich, und seine Hirnmasse schien zu einem dicken Brei zusammenzulaufen. Er setzte von neuem an.
    »Könntest du gegen vier wiederkommen und mir Tee, belegte Brote oder dergleichen servieren?«
    »Sehr wohl, Sir.«
    Anthony überlegte mit einem bedrückenden Mangel an Eingebung.
    »Belegte Brote«, wiederholte er ratlos, »ach ja, Käsebrote und Aspik und Hühnchen und Oliven, denke ich. Lass das Frühstück sausen.«
    Die Mühe der Erfindung war zu groß. Ermattet schloss er die Augen, ließ seinen Kopf rollen, bis er träge liegenblieb, und die eben erlangte Herrschaft über seine Muskeln wieder fahren. Aus einem Spalt seines Bewusstseins kroch das zerfließende, aber unabweisbare Gespenst der Nacht zuvor – doch diesmal erwies es sich lediglich als eine offenbar endlose Unterredung mit Richard Caramel, der ihn um Mitternacht aufgesucht hatte; sie hatten vier Flaschen Bier getrunken und trockenes Brot gekaut, während Anthony einer Lesung des ersten Teils von Der dämonische Liebhaber gelauscht hatte.
    Nun schlug nach vielen Stunden eine Stimme an sein Ohr. Anthony überhörte sie, der Schlaf umschloss ihn, hüllte ihn ein, kroch in die Seitenwindungen seines Gehirns.
    Plötzlich war er hellwach und fragte: »Was?«
    »Für wie viele, Sir?« Es war immer noch Bounds, der geduldig und reglos am Fuß des Bettes stand – Bounds, der seine Dienste auf drei Gentlemen verteilte.
    »Wie viele was?«
    [75] »Sir, ich glaube, ich sollte wissen, wie viele kommen. Ich muss die belegten Brote vorbereiten, Sir.«
    »Zwei«, grummelte Anthony mit heiserer Stimme, »eine Dame und ein Herr.«
    Bounds sagte: »Danke sehr, Sir«, und zog sich zurück. Mit ihm verschwand sein demütigender, vorwurfsvoller ungesteifter Kragen, vorwurfsvoll gegen jeden der drei Gentlemen, die jeweils nur ein Drittel seiner Person forderten.
    Nach langer Zeit erhob sich Anthony und hüllte seine schlanke, wohlgefällige Gestalt in einen braun-blau schillernden Morgenmantel. Mit einem letzten Gähnen trat er ins Badezimmer. Er knipste die Lampe auf der Frisierkommode an (ins Badezimmer fiel von außen kein Licht) und betrachtete sich mit einigem Interesse im Spiegel. Was für eine elende Erscheinung, dachte er. Das dachte er morgens meistens – der Schlaf ließ sein Gesicht unnatürlich blass erscheinen. Er zündete eine Zigarette an und überflog mehrere Briefe und die Morgenausgabe der Tribune.
    Eine Stunde später saß er, rasiert und angekleidet, an seinem Schreibtisch und betrachtete einen kleinen Zettel, den er seiner Brieftasche entnommen hatte. Dieser war mit ziemlich unleserlichen Notizen bekritzelt: »Um fünf Termin bei Mr. Howland. Zum Friseur. Um Rechnung von Rivers kümmern. Zur Buchhandlung gehen.«
    Und unter dem letzten Eintrag: »Barguthaben: $ 690 (ausgestrichen), $ 612 (ausgestrichen), $ 607.«
    Schließlich am unteren Rand, hastig hingeworfen: »Dick und Gloria Gilbert zum Tee.«
    Der letzte Eintrag bereitete ihm offensichtlich Genugtuung. Sein Tag, gewöhnlich ein quallenartiges Geschöpf, ein [76] form- und wirbelloses Ding, hatte eine mesozoische Gliederung verpasst bekommen. Sicheren Schritts, ja frohsinnig marschierte er auf einen Höhepunkt zu, wie es einem Theaterstück, wie es einem Tag anstand. Anthony fürchtete den Augenblick, da dem Tag das Rückgrat gebrochen wäre, da er das Mädchen endlich kennengelernt, sich mit ihr unterhalten und ihr Gelächter aus der Tür hinauskomplimentiert hätte, um dann wieder zu dem melancholischen Teesatz in den Tassen und dem schalen Geruch der unverzehrten Brote zurückzukehren.
    Anthonys Tage verloren immer mehr an Farbigkeit. Dieses Gefühl verfolgte ihn ständig, mitunter führte er es auf ein Gespräch zurück, das er einen Monat zuvor mit Maury Noble gehabt hatte. Dass ihn etwas so Kindliches, etwas so Tugendhaftes wie ein Gefühl der Vergeudung bedrückte, war lächerlich, aber dass ihn das unwillkommene Weiterleben eines Fetischs vor drei Wochen in die Stadtbücherei geführt hatte, ließ sich nicht bestreiten; dort hatte er unter Vorzeigen von Richard Caramels Karte ein halbes Dutzend Bücher über die italienische Renaissance ausgeliehen. Dass diese Bücher noch immer in derselben Reihenfolge wie beim Nachhausetragen auf seinem Schreibtisch lagen, dass sie seine Verbindlichkeiten täglich um zwölf Cent vermehrten, schwächte ihre Beweiskraft nicht. Diese Zeugen aus Leinen und Saffian bekräftigten, dass er sich hatte beirren lassen. Anthony hatte

Weitere Kostenlose Bücher