Die Schönen und Verdammten
oder einem Konzern oder so etwas. Sie kommen aus Kansas City.«
»Wirst du dort heiraten?«
»Nein, Sir. Wir dachten, wir würden in New York heiraten – im kleinen Rahmen.«
»Möchtest du die Hochzeit hier draußen feiern?«
Anthony zögerte. Der Vorschlag reizte ihn nicht, aber gewiss war es ein Gebot der Klugheit, dem Alten, falls möglich, einen Besitzanspruch an seinem Eheleben einzuräumen. Außerdem war Anthony leicht gerührt.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Opapa, aber wäre das nicht zu viel der Umstände?«
»Alles ist zu viel der Umstände. Dein Vater hat auch hier geheiratet – aber im alten Haus.«
»Ach ja? Ich dachte, er hätte in Boston geheiratet?«
Adam Patch dachte nach. »Du hast recht. Er hat in Boston geheiratet.«
Einen Augenblick lang war Anthony peinlich berührt, weil er ihn berichtigt hatte, und versuchte, mit Worten darüber hinwegzuspielen.
»Gut, ich spreche mit Gloria darüber. Ich persönlich würde ja gern, aber es hängt natürlich von den Gilberts ab, verstehen Sie?«
Sein Großvater stieß einen langen Seufzer aus, schloss halb die Augen und sank in seinen Sessel zurück.
»Habt ihr Eile?«, fragte er in einem anderen Tonfall.
»Nicht sonderlich.«
[187] »Ich frage mich«, begann Adam Patch und sah mit einem milden, gütigen Blick auf die Fliedersträucher, die an den Fenstern raschelten, »ich frage mich, ob du je an das Leben nach dem Tode denkst.«
»Aber ja – manchmal.«
»Ich denke oft an das Leben nach dem Tode.« Seine Augen waren trüb, seine Stimme dagegen klang selbstsicher und klar. »Heute habe ich hier gesessen und darüber nachgedacht, was uns wohl erwartet, und da ist mir ein Nachmittag vor beinahe fünfundsechzig Jahren eingefallen, als ich mit meiner kleinen Schwester Annie spielte, dort, wo jetzt das Sommerhaus steht.« Er zeigte in den langgezogenen Blumengarten hinaus, in seinen Augen standen zitternd die Tränen, und seine Stimme bebte.
»Ich fing an nachzudenken – und es schien mir, als solltest du auch ein bisschen mehr über das Leben nach dem Tode nachdenken. Du solltest – gefestigter…« – er hielt inne und schien nach dem richtigen Wort zu suchen –, »…arbeitsamer werden… also…«
Dann veränderte sich seine Miene, seine gesamte Persönlichkeit schien wie eine Falle zuzuschnappen, und als er weitersprach, war alle Sanftheit aus seiner Stimme geschwunden.
»Als ich nur zwei Jahre älter war als du«, krächzte er mit einem verschlagenen Glucksen, »habe ich drei Angehörige der Firma Wrenn & Hunt ins Armenhaus geschickt.«
Anthony fuhr vor Verlegenheit zusammen.
»Na, dann auf Wiedersehen«, sagte sein Großvater plötzlich, »sonst verpasst du noch deinen Zug.«
Anthony ging ungewöhnlich beschwingt aus dem Haus, [188] voll unerklärlichen Mitleids mit dem Alten; nicht weil sein Reichtum ihm »weder Jugend noch Verdauung« kaufen konnte, sondern weil er Anthony gebeten hatte, bei ihm Hochzeit zu halten, und weil er von der Hochzeit seines eigenen Sohnes ein Detail vergessen hatte, das er hätte behalten müssen.
Richard Caramel, einer der Platzanweiser, bereitete Anthony und Gloria in den letzten paar Wochen viel Kummer, denn andauernd stahl er ihnen die Strahlen des Rampenlichts. Im April war sein Roman herausgekommen, und seither beeinträchtigte Der dämonische Liebhaber ihre Liebesaffäre, so wie er beinahe alles beeinträchtigte, womit sein Erfinder zu tun hatte. Das Buch war ein hochoriginelles, aber ziemlich schwülstiges Werk, dessen getragene Schilderungen einem Don Juan der New Yorker Slums galten. Wie Maury und Anthony bereits vorhergesagt hatten und wie dann auch die freundlicheren Kritiker sagten, gab es in Amerika keinen zweiten Schriftsteller, der die atavistischen und primitiven Instinkte dieser Gesellschaftsschicht mit einer solchen Kraft beschrieb.
Das Buch zögerte, dann aber ›ging‹ es plötzlich. Woche für Woche jagte eine Auflage die andere, zunächst kleinere, dann immer größere. Ein Sprecher der Heilsarmee brandmarkte es als zynische Verdrehung des Auftriebs, der in der Unterwelt zu verzeichnen sei. Geschickte Werbung streute das gegenstandslose Gerücht aus, »Zigeuner« Smith wolle eine Verleumdungsklage erheben, weil eine der Hauptfiguren eine Persiflage seiner selbst sei. Die Stadtbücherei von Burlington, Iowa, verbot es, und ein Kolumnist im [189] Mittleren Westen machte die versteckte Andeutung, Richard Caramel sei mit Delirium tremens in ein Sanatorium eingewiesen
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