Die Schönen und Verdammten
hatte. Was Gloria anging, so wusste er nicht recht. Zwar erschien sie ihm attraktiv, aber – so viel vertraute sie Anthony selbst an – er war wohl zu dem Schluss gekommen, dass sie frivol sei, und fürchtete sich davor, eine gute Meinung von ihr zu haben.
Noch fünf Tage! – Auf dem Rasen von Tarrytown wurde ein Tanzpodium errichtet. Noch vier Tage! – Ein [192] Sonderzug wurde gemietet, um die Gäste von und nach New York zu befördern. Noch drei Tage! –
Das Tagebuch
Gloria trug einen blauen Seidenpyjama und stand an ihrem Bett. Sie hatte schon die Hand am Lichtschalter, um das Zimmer in Dunkel zu hüllen, als sie sich anders besann, ein Tischschubfach aufzog und ein kleines schwarzes Buch hervorholte – einen zehnjährigen Taschenkalender (»eine Zeile pro Tag«). Diesen besaß sie schon seit sieben Jahren. Viele der Bleistifteintragungen waren fast unleserlich, und es gab Notizen und Verweise auf Nächte und Nachmittage, die längst vergessen waren, denn es war kein intimes Journal, auch wenn es mit dem uralten »Von nun an werde ich für meine Kinder Tagebuch führen« begann. Doch als sie die Seiten durchblätterte, schienen ihr aus den halb unkenntlichen Namen die Augen zahlreicher Männer entgegenzublicken. Mit einem war sie zum ersten Mal nach New Haven gefahren – 1908, als sie sechzehn war und in Yale gepolsterte Schultern Mode waren –, sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, denn Michaud, der Football-Spieler, hatte den ganzen Abend über »Versuche« und »Vorstöße« unternommen. Sie seufzte, denn sie erinnerte sich an das Erwachsenenkleid aus Satin, auf das sie so stolz gewesen war, und an die Kapelle, die Yama-yama, My Yama Man und Jungle-Town gespielt hatte. Wie lange das her war! Die Namen: Eltynge Reardon, Jim Parsons, »Lockenkopf« McGregor, Kenneth Cowan, »Fischauge« Fry (den sie gern hatte, weil er so hässlich war), [193] Carter Kirby – der hatte ihr ein Geschenk geschickt, Tudor Baird ebenfalls –, Marty Reffer, der erste Mann, in den sie länger als einen Tag verliebt gewesen war, und Stuart Holcome, der mit ihr in seinem Automobil durchgebrannt war und sie mit aller Gewalt zur Heirat überreden wollte. Und Larry Fenwick, den sie stets bewundert hatte, weil er ihr eines Abends gesagt hatte, wenn sie ihn nicht küssen wolle, könne sie aussteigen und zu Fuß nach Hause laufen. Was für eine Liste!
Und nun auch eine überholte Liste. Jetzt war sie in Liebe entbrannt, für die ewige Romanze bestimmt, die die Synthese aller Romanzen sein würde, und dennoch fühlte sie sich schwermütig wegen dieser Männer und dieser Mondnächte und wegen des Kitzels, den sie verspürt hatte – und wegen der Küsse. Die Vergangenheit – ihre Vergangenheit, ach, welch eine Freude! Sie war überschwenglich glücklich gewesen.
Als sie die Seiten umwendete, blieb ihr müßiger Blick an den verstreuten Eintragungen der letzten vier Monate hängen. Die letzten las sie sorgfältig durch.
1. April – Ich weiß, Bill Carstairs hasst mich, weil ich so unangenehm war, aber manchmal hasse ich es, wenn einer meinetwegen in Gefühlen schwelgt. Fuhren hinaus zum Rockyear Country Club, und durch die Bäume schien der herrlichste Mond. Mein silbernes Kleid bekommt Flecken. Komisch, wie man die anderen Nächte im Rockyear vergisst – mit Kenneth Cowan, den ich doch so geliebt habe!
3. April – Nach zwei Stunden mit Schroeder, der, wie [194] man mir sagt, Millionen hat, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass man sich nur verschleißt, wenn man sich an etwas festklammert, besonders wenn besagtes Etwas ein Mann ist. Nichts wird so häufig übertrieben, und ich gelobe, mich von heute an nur noch zu amüsieren. Wir sprachen von der ›Liebe‹ – wie banal! Mit wie vielen Männern habe ich von der Liebe gesprochen?
11. April – Patch hat doch tatsächlich angerufen! Dabei war er wütend aus dem Zimmer gestürmt, als er sich vor etwa einem Monat von mir lossagte. Allmählich verliere ich den Glauben daran, dass auch nur einem einzigen Mann tödliche Verletzungen beizubringen sind.
20. April – Verbrachte den Tag mit Anthony. Vielleicht werde ich ihn eines Tages heiraten. Seine Ideen gefallen mir – er kitzelt alles aus mir heraus, was originell ist. Gegen zehn kam Blockhead vorbei und fuhr mit mir zum Riverside Drive. Heute Abend mochte ich ihn: Er ist so rücksichtsvoll. Er wusste, dass ich nicht sprechen wollte, und so hat er die ganze Fahrt über geschwiegen.
21. April – Beim Aufwachen an
Weitere Kostenlose Bücher