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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Zweifelsohne war sie es; erfreut waren auch die Geranien, die in den Blumenkästen blühten, erfreut waren die Kutscher, wenn die Liebespaare die romantische Ungestörtheit der Hansom-Droschke – dieser ulkigen Erfindung – suchten und auf die einbehaltene Speisekarte »Das weißt du doch!« kritzelten, um sie dem anderen hinzuschieben.
    Doch zwischen Küssen zankten sich Anthony und dieses goldene Mädchen unaufhörlich.
    »Gloria«, rief er dann, »bitte, so lass mich doch erklären!«
    »Da gibt es nichts zu erklären. Küss mich!«
    »Ich finde das nicht richtig. Wenn ich deine Gefühle verletzt habe, sollten wir darüber reden. Ich mag dieses Kuss-Drüber nicht.«
    »Ich will aber nicht streiten. Das finde ich doch gerade wunderbar, dass wir küssen und vergessen können, und wenn das nicht mehr klappt, können wir immer noch streiten.«
    Einmal nahm die zarteste aller Meinungsverschiedenheiten eine solche Schärfe an, dass Anthony aufstand und sich in seinen Mantel warf – einen Augenblick hatte es den Anschein, als sollte sich die Szene vom vergangenen Februar [178] wiederholen; da er jedoch wusste, wie tief getroffen sie war, wahrte er seine Würde und seinen Stolz, und im Nu lag Gloria schluchzend in seinen Armen, ihr hübsches Gesicht angstverzerrt wie das eines erschrockenen kleinen Mädchens.
    Unterdessen fuhren sie fort, sich zögernd voreinander zu entblättern: durch seltsame Reaktionen und Ausflüchte, durch Abneigungen und Vorurteile und durch unbeabsichtigte Hinweise auf Vergangenes. Das stolze Mädchen war unfähig zur Eifersucht, und weil er selbst hochgradig eifersüchtig war, fühlte er sich von solcher Tugend gekränkt. Absichtlich erzählte er ihr dunkle Episoden aus seinem Leben, um einen Funken Eifersucht aus ihr herauszuschlagen, jedoch vergebens. Schließlich besaß sie ihn jetzt – und spürte keine Sehnsucht nach den toten Jahren.
    »Ach, Anthony«, sagte sie, »immer, wenn ich gemein zu dir bin, tut es mir hinterher leid. Dann würde ich alles tun, um dir einen kleinen Augenblick der Pein zu ersparen.«
    Sogleich schwammen ihre Augen in Tränen, und sie war sich nicht bewusst, dass sie sich etwas vormachte. Anthony wusste jedoch, dass es Tage gab, da sie einander absichtlich wehtaten – sich beinahe ein Vergnügen aus einem Seitenhieb machten. Immer wieder gab sie ihm zu denken: in der einen Stunde so intim und reizend, verzweifelt um eine ungeahnte transzendente Harmonie bemüht; in der nächsten stumm und kalt, offensichtlich unfähig, ihre Liebe und alles, was er zu sagen hatte, auch nur wahrzunehmen. Oft konnte er diese verhängnisvolle Verstocktheit letztlich auf eine Unpässlichkeit zurückführen – über die sie niemals klagte, ehe sie nicht vorüber war –, manchmal auch auf eine [179] Unbedachtheit oder Anmaßung seinerseits oder auf ein nicht sehr schmackhaftes Gericht beim Abendessen, doch selbst dann waren ihm die Mittel, mit denen sie die unendliche Distanz schuf, mit der sie sich umgab, ein Rätsel, das irgendwo in zweiundzwanzig Jahren unerschütterlichen Stolzes begraben lag.
    »Wieso magst du eigentlich Muriel?«, wollte er eines Tages wissen.
    »Ich mag sie ja gar nicht – nicht sehr.«
    »Warum gehst du dann mit ihr aus?«
    »Damit ich jemanden habe, mit dem ich ausgehen kann. Sie strengen mich nicht an, diese Mädchen. Sie glauben fast alles, was ich ihnen sage – aber Rachael mag ich ziemlich gern. Ich finde sie niedlich – und so sauber und gepflegt, du nicht? Früher hatte ich andere Freundinnen – in Kansas City und in der Schule –, alles flüchtige Bekannte, Mädchen, die mir aus keinem anderen Grund über den Weg liefen, als dass die Jungen uns gemeinsam ausführten. Als uns unsere Umgebung nicht länger bunt zusammenwürfelte, haben sie mich nicht mehr interessiert. Jetzt sind die meisten verheiratet. Was soll’s – es waren eben Leute.«
    »Männer magst du lieber, stimmt’s?«
    »O ja, viel lieber. Ich habe die Denkungsart eines Mannes.«
    »Du hast meine Denkungsart. Nicht sonderlich geschlechtsspezifisch, weder so noch so.«
    Später erzählte sie ihm von den Anfängen ihrer Freundschaft mit Bloeckman. Eines Tages waren Gloria und Ra-chael im Delmonico’s auf Bloeckman und Mr. Gilbert gestoßen, die gemeinsam zu Mittag aßen, und Neugier hatte [180] sie veranlasst, zu viert zusammenzusitzen. Sie hatte ihn gut leiden mögen – ziemlich. Nach all den jüngeren Männern war er eine Wohltat, da er sich mit so wenig zufriedengab. Er nahm sie,

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