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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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unter dem letzten Eintrag drei parallele Linien. Dann schrieb sie in großen Druckbuchstaben FINIS , legte das Buch ins Schubfach zurück und schlüpfte ins Bett.
    Hauch der Höhle
    Als Anthony am Vorabend der Hochzeit nach dem Dinner wieder in seinem Apartment war, knipste er das Licht aus und ging zu Bett. Er fühlte sich so unpersönlich und zerbrechlich wie ein Porzellanteil, das auf einem Serviertischchen wartet. Es war eine laue Nacht – ein Laken reichte zu seinem Behagen –, und durch die weitgeöffneten Fenster [198] drangen, von einer leisen Vorfreude belebt, flüchtige Sommergeräusche. Er fand, dass die in leichtfertigem und wankelmütigem Zynismus verlebten Jahre seiner Jugend, die leer und bunt hinter ihm lagen, von den überlieferten Gefühlen längst zu Staub gewordener Männer gezehrt hatten. Aber es gab etwas, das darüber hinausging; das wusste er jetzt. Es gab seinen Seelenbund mit Gloria, dessen helles Feuer, dessen Frische der lebendige Stoff war, aus welchem die tote Schönheit der Bücher gewoben wurde.
    Aus der Nacht drangen hartnäckig jene sich immer wieder verflüchtigenden und auflösenden Geräusche in sein hochwandiges Zimmer – etwas, das die Stadt in die Luft warf und wieder auffing, wie ein Kind, das mit einem Ball spielt. In Harlem, in der Bronx, in Gramercy Park und im Hafenviertel, in kleinen Wohnzimmern oder auf kiesbestreuten, mondlichtüberfluteten Dächern verursachten tausend Liebespaare diese Geräusche, indem sie ihre Stimmen der Luft anvertrauten. Dort draußen im blauen Sommerdunkel spielte die ganze Stadt mit den Geräuschen, warf sie hoch und fing sie wieder auf und versprach, dass das Leben in Kürze schön sein werde wie ein Märchen, versprach Glück – und schenkte es, indem sie es versprach. Sie machte der Liebe Hoffnung auf die eigene Fortdauer. Mehr vermochte sie nicht.
    Doch da löste sich aus den leisen Klängen der Nacht plötzlich ein neuer Ton, ein Misston. Das Geräusch kam von einem dreißig Meter von seinem rückwärtigen Fenster gelegenen Hof, das Gelächter einer Frau. Es setzte tief ein, unablässig winselnd – ein Dienstmädchen mit ihrem Kerl, dachte er –, dann wurde es lauter, wurde hysterisch, bis es [199] ihn an ein Mädchen erinnerte, das bei einer Vaudeville-Vorführung von nervösem Gelächter überwältigt worden war. Danach sank es ab und verebbte, nur um wieder anzusteigen und Worte einzuschließen – einen derben Witz, irgendeinen undeutlichen Spaß, den er nicht genau verstand. Einen Augenblick später brach es ab, und er konnte eben noch das tiefe Gepolter einer Männerstimme hören, da setzte es auch schon wieder ein – ohne Ende; erst war es nur lästig, dann auf seltsame Weise erschreckend. Er erschauderte, stieg aus dem Bett und trat ans Fenster. Es hatte einen Höhepunkt erreicht, verkrampft und erstickt, war fast zum Schrei geworden – dann erstarb es und ließ eine Stille zurück, leer und bedrohlich wie die größere Stille über ihm. Anthony blieb noch einen Augenblick am Fenster stehen, bevor er wieder zu Bett ging. Er war verwirrt und mitgenommen. Sosehr er sich auch mühte, seine Reaktion zu unterdrücken – etwas Animalisches in dem ungezügelten Gelächter hatte seine Einbildungskraft ergriffen und zum ersten Mal seit vier Monaten seine alte Abneigung, seinen Abscheu vor allem Leben geweckt. Das Zimmer war stickig geworden. Er wollte nach draußen, hinaus in die kühle, scharfe Brise, meilenweit über den Städten, und heiter und gelöst in den Winkeln seines Gemütes leben. Leben – das war dieses Geräusch dort draußen, dieses gespenstisch sich wiederholende Geräusch einer Frau.
    »O mein Gott !«, rief er und zog scharf die Luft ein.
    Er vergrub das Gesicht in den Kopfkissen und versuchte vergebens, sich auf die Einzelheiten des kommenden Tages zu besinnen.
    [200] Morgen
    Im grauen Licht stellte er fest, dass es erst fünf Uhr war. Unruhig bedauerte er, so früh aufgewacht zu sein – auf der Hochzeit würde er ausgepumpt wirken. Er beneidete Gloria, die ihre Erschöpfung mit sorgfältiger Schminke überdecken konnte.
    Im Badezimmer betrachtete er sich im Spiegel und merkte, dass er ungewöhnlich weiß aussah – gegen die morgendliche Blässe seiner Gesichtsfarbe hob sich ein halbes Dutzend kleiner Unebenheiten ab, und über Nacht waren ihm kurze Bartstoppeln gewachsen –, der allgemeine Eindruck, bildete er sich ein, war wenig anziehend: ausgezehrt und unpässlich.
    Auf seinem Toilettentisch lag eine

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