Die Schönen und Verdammten
Vertrauen, gleich für immer sicher und geborgen zu sein.
Einige Zeit später trafen sie am späten Abend in Santa Barbara ein, wo der Nachtportier des Hotels Lacfadio sich weigerte, sie aufzunehmen, da sie nicht verheiratet seien.
Der Portier fand Gloria bildhübsch. Er dachte, etwas so Schönes wie Gloria könne nicht moralisch sein.
»Con amore«
Das erste halbe Jahr – die Reise in den Westen, die mehrmonatigen Streifzüge entlang der kalifornischen Küste und das graue Haus in der Nähe von Greenwich, wo sie wohnen blieben, bis der Spätherbst das Landleben trübselig machte –, diese Tage, diese Orte bescherten ihnen Stunden des Entzückens. Das atemberaubende Idyll ihrer Verlobung wich zunächst der heftigen Romanze einer leidenschaftlicheren Beziehung. Das atemberaubende Idyll verließ sie und [208] floh zu anderen Liebenden; eines Tages sahen sie sich um, und es war verschwunden, sie wussten kaum, wie. Hätte in den Tagen des Idylls einer von ihnen den anderen verloren, so wäre die verlorene Liebe dem Verlierer stets wie jenes zarte Verlangen ohne Erfüllung vorgekommen, das hinter allem Leben steht. Doch der Zauber muss weiterhasten, und die Liebenden bleiben zurück…
Das Idyll verging und trug mit sich fort, was es ihnen an Jugend abgepresst hatte. Es kam der Tag, da Gloria merkte, dass andere Männer sie nicht länger langweilten; es kam der Tag, da Anthony entdeckte, dass er wieder bis spät nachts aufsitzen und mit Dick über jene ungeheuren Abstraktionen reden konnte, die seine Welt früher bevölkert hatten. Weil sie aber wussten, dass der Höhepunkt der Liebe überschritten war, klammerten sie sich an das, was übrigblieb. Die Liebe harrte aus – in langen nächtlichen Gesprächen, in öden Stunden, wenn der Verstand ausdünnt und sich schärft und das den Träumen Abgeborgte zum Stoff allen Lebens wird, in den innig-vertrauten Liebenswürdigkeiten, die sie einander bezeigten, in dem gemeinsamen Gelächter über Absurditäten oder in den übereinstimmenden Gedanken darüber, was nobel und was trist sei.
Vor allem aber war es eine Zeit der Entdeckungen. Was sie aneinander fanden, war so mannigfaltig, so vermischt und überdies so mit Liebe überzuckert, dass sie vieles gar nicht in aller Deutlichkeit erkannten, sondern vielmehr wie vorübergehende Erscheinungen betrachteten – Erscheinungen, die in Kauf genommen und vergessen wurden. Anthony stellte fest, dass er mit einem Mädchen voll ungeheurer nervöser Spannung und dem selbstherrlichsten Eigennutz [209] zusammenlebte. Und Gloria fand innerhalb eines Monats heraus, dass sich ihr Mann vor jedem der Millionen Wahngebilde, die seiner Phantasie entsprangen, wie ein ausgesprochener Feigling verhielt. Ihre Wahrnehmung kam stockend zustande, denn seine Feigheit machte sich plötzlich bemerkbar, wurde auf anstößige Weise offenkundig, verblasste dann wieder und löste sich auf, als sei sie nur ein Geschöpf ihrer Einbildungskraft gewesen. Sie reagierte anders darauf, als man es ihrem Geschlecht zutraute – weder weckte es in ihr Ekelgefühle noch verfrühte Mutterschaftswünsche. Da sie selbst fast ganz ohne körperliche Angst war, konnte sie so etwas nicht begreifen, und so lenkte sie ihren Blick nach Möglichkeit auf jenen Charakterzug, den sie für das ausgleichende Moment seiner Ängste hielt: dass er, obwohl ein Feigling, wenn er unter Schock oder unter Anspannung stand – wenn er seiner Phantasie freien Lauf ließ –, dennoch eine Art verwegenen Leichtsinns besaß, der ihr bei den wenigen kurzen Anlässen beinahe Bewunderung abnötigte, und einen Stolz, der ihn gewöhnlich festigte, wenn er sich beobachtet glaubte.
Dieser Charakterzug zeigte sich anfangs in einem Dutzend Anfällen von leichter Nervosität – als er einen Taxichauffeur in Chicago ermahnte, nicht so schnell zu fahren; als er sich weigerte, sie in ein gewisses verrufenes Café mitzunehmen, das sie schon lange hatte aufsuchen wollen. Natürlich erlaubten derlei Zwischenfälle die herkömmliche Deutung – dass er dabei nur an sie gedacht habe; trotzdem, zusammengenommen verstörten sie Gloria. Zur Gewissheit verhalf ihr schließlich ein Vorfall in San Francisco, als sie gerade eine Woche verheiratet waren.
[210] Es war nach Mitternacht und stockdunkel im Zimmer. Gloria war gerade am Einnicken, und Anthonys gleichmäßige Atemzüge neben ihr verleiteten sie zu der Annahme, er schlafe schon, als sie plötzlich sah, wie er sich auf den Ellbogen stützte und zum Fenster
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