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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Geräusch dauerte an, da habe ich unten angerufen. Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe, aber ich bin heute Abend verdammt nervös.«
    Als sie ihn bei der Lüge ertappte, fuhr sie innerlich zusammen – er war gar nicht ans Fenster gegangen, nicht einmal in dessen Nähe. Er hatte am Bett gestanden und dann seinen Angstruf ergehen lassen.
    »Oh«, sagte sie – und dann: »Ich bin so müde.«
    Eine Stunde lagen sie wach nebeneinander. Gloria hatte die Augen so fest geschlossen, dass sich blaue Monde bildeten und sich vor einem Hintergrund von tiefstem Lila drehten, Anthony starrte, ohne zu sehen, in das Dunkel über ihm.
    Nach vielen Wochen kam es allmählich an den Tag, und man konnte darüber lachen und witzeln. Sie machten eine Gewohnheit daraus, sich darüber kaputtzulachen – wann immer das überwältigende Grauen jener Nacht Anthony wieder befiel, legte sie die Arme um ihn und summte leise wie ein Lied: »Ich beschütze meinen Anthony. Oh, niemand wird meinem Anthony etwas zuleide tun!«
    Dann lachte er, als handele es sich um einen Scherz, den sie zu ihrer gegenseitigen Belustigung trieben, aber in Glorias Augen war es nie nur ein Scherz. Zunächst war es eine lebhafte Enttäuschung, später einer jener Anlässe, bei denen sie sich beherrschen musste.
    Der kluge Umgang mit Glorias Jähzorn, ob nun ausgelöst von einem Mangel an heißem Badewasser oder von einem Scharmützel mit ihrem Mann, wurde fast zur wichtigsten Aufgabe in Anthonys Tagesablauf. Er musste behutsam gehandhabt werden: mit soundso viel Schweigen, soundso [214] viel Druck, soundso viel Nachgiebigkeit, soundso viel Zwang. In ihren Wutausbrüchen und den damit einhergehenden Grausamkeiten zeigte sich ihre zügellose Selbstsucht am deutlichsten. Weil sie mutig war, weil sie ›verzogen‹ war, wegen ihrer empörend und lobenswert selbständigen Urteilsfähigkeit, endlich aber wegen ihres hochmütigen Bewusstseins, nie ein so schönes Mädchen gesehen zu haben wie sich selbst, hatte sich Gloria zu einer unbeirrbar praktizierenden Nietzscheanerin entwickelt. Dies natürlich mit Untertönen tiefen Sentiments.
    Zum Beispiel war da ihr Magen. Sie war bestimmte Speisen gewohnt und der festen Überzeugung, unmöglich etwas anderes zu sich nehmen zu können. Am späten Vormittag musste es eine Limonade und ein Tomatensandwich sein, danach ein leichter Lunch mit einer gefüllten Tomate. Nicht nur wollte sie ihre Wahl unter einem Dutzend Gerichten treffen, darüber hinaus musste die gewählte Speise auf ganz bestimmte Art zubereitet sein. Eine der ärgerlichsten halben Stunden der ersten vierzehn Tage trug sich in Los Angeles zu, als ein unglückseliger Kellner ihr eine Tomate brachte, die mit Hühnersalat statt mit Sellerie gefüllt war.
    »Aber wir servieren sie immer so, Madame«, stammelte er in die grauen Augen, die ihn wutentbrannt anblickten.
    Gloria antwortete nicht, doch als sich der Kellner diskret entfernt hatte, schlug sie mit beiden Fäusten auf den Tisch, dass das Porzellan und das Silber klirrten.
    »Arme Gloria!«, lachte Anthony unwissend. »Nie bekommst du, was du möchtest, nicht wahr?«
    »Ich kann das Zeug nicht essen!«, brauste sie auf.
    »Ich rufe den Kellner zurück.«
    [215] »Das will ich aber nicht! Der hat doch von nichts eine Ahnung, der verdammte Idiot!«
    »Das Hotel trägt keine Schuld. Entweder du lässt sie zurückgehen und schlägst sie dir aus dem Kopf, oder du bist ein braver Kerl und isst sie auf.«
    »Halt den Mund!«, sagte sie barsch.
    »Warum lässt du deinen Zorn an mir aus?«
    »Tue ich ja gar nicht«, jammerte sie, »aber ich kann das nun einmal nicht essen.«
    Ratlos gab Anthony nach.
    »Gehen wir eben woandershin«, schlug er vor.
    »Ich will aber nicht irgendwo anders hingehen. Ich habe es satt, in einem Dutzend Cafés herumgeführt zu werden und nicht ein essbares Gericht vorgesetzt zu bekommen.«
    »Wann sind wir denn in ein Dutzend Cafés gegangen?«
    »In diesem Kaff müsste man das«, beharrte Gloria mit schlagfertiger Spitzfindigkeit.
    Verwirrt versuchte Anthony es mit etwas anderem.
    »Weshalb willst du es nicht wenigstens probieren? So schlimm, wie du glaubst, kann es nicht sein.«
    »Weil – ich – Huhn – nun – mal – nicht – mag!«
    Sie nahm die Gabel zur Hand und fing an, verächtlich in der Tomate herumzustochern. Anthony rechnete damit, dass sie die Füllung jeden Moment in sämtliche Himmelsrichtungen schleudern würde. Er war sicher, dass sie wütender war denn je – einen

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