Die Schönen und Verdammten
Augenblick lang hatte er einen Funken Hass entdeckt, der ebenso ihm wie allen anderen galt –, und war Gloria erst einmal wütend, dann war sie, einstweilen, unnahbar.
Doch dann sah er zu seiner Überraschung, wie sie die [216] Gabel zaghaft zum Mund führte und von dem Hühnersalat kostete. Ihre Miene war immer noch finster, und sorgenvoll blickte er sie an. Er äußerte sich nicht und wagte kaum zu atmen. Sie probierte eine zweite Gabel voll – und im nächsten Augenblick aß sie auch schon. Mit Mühe unterdrückte Anthony ein Kichern; als er endlich den Mund auftat, hatten seine Bemerkungen nicht das Geringste mit dem Hühnersalat zu tun.
Dieser Zwischenfall zog sich, mit Variationen, wie eine traurige Fuge durch ihr erstes Ehejahr hindurch; stets ließ er Anthony verwirrt, gereizt und bedrückt zurück. Einen anderen heftigen Zusammenstoß der Temperamente allerdings, und zwar in Sachen Wäschebeutel, fand er noch ärgerlicher, da er unvermeidlich mit einer entscheidenden Niederlage für ihn endete.
Eines Nachmittags in Coronado, wo sie mit mehr als drei Wochen den längsten Aufenthalt ihrer Reise hatten, putzte sich Gloria zum Tee prächtig heraus. Anthony, der unten gewesen war, um sich die neuesten Gerüchte über den Krieg in Europa anzuhören, betrat das Zimmer, küsste sie auf ihren gepuderten Nacken und ging zu seiner Frisiertoilette. Nach aufwendigem, aber offensichtlich fruchtlosem Aufziehen und Zuschieben von Schubladen drehte er sich zu dem unvollendeten Meisterwerk um.
»Hast du vielleicht Taschentücher, Gloria?«, fragte er.
Gloria schüttelte den goldenen Haarschopf.
»Kein einziges. Ich benutze eins von deinen.«
»Dann dürfte das wohl das letzte sein.« Er lachte trocken.
»Wirklich?« Sie zog sich deutlich und doch delikat die Lippen nach.
[217] »Ist denn die Wäsche noch nicht zurückgekommen?«
»Weiß nicht.«
Anthony zögerte – dann öffnete er mit plötzlichem Scharfblick die Schranktür. Er fand seinen Verdacht bestätigt. An dem eigens angebrachten Haken hing der vom Hotel bereitgestellte blaue Beutel. Er war voll von seinen Kleidern – er hatte sie selbst hineingetan. Der Schrankboden war mit einer erstaunlichen Fülle von Kleidungsstücken übersät – Damenunterwäsche, Strümpfe, Kleider, Nachthemden und Pyjamas –, das meiste davon kaum getragen, doch alles unzweifelhaft unter das allgemeine Stichwort »Glorias Wäsche« fallend.
Er stand da und hielt die Schranktür auf.
»Also wirklich, Gloria!«
»Was ist?«
Der Lippenstift wurde abgewischt und aus einem rätsel-haften Blickwinkel neu aufgetragen; nicht ein Finger zitterte, während sie den Lippenstift führte, nicht ein Blick flackerte in seine Richtung. Es war der Triumph der Konzentration.
»Hast du denn die Wäsche nicht weggegeben?«
»Ist sie noch da?«
»Allerdings.«
»Dann offenbar nicht.«
»Gloria«, hob Anthony an, setzte sich aufs Bett und versuchte, ihren Blick im Spiegel auf sich zu ziehen. »Du bist mir vielleicht eine! Seit wir von New York weg sind, habe jedesmal ich die Wäsche weggegeben, und vor mehr als einer Woche hast du mir versprochen, sie zur Abwechslung einmal selbst weggeben zu wollen. Du brauchst doch deine [218] Schmutzwäsche nur in den Beutel zu stopfen und nach dem Zimmermädchen zu klingeln!«
»Ach, weshalb so viel Wirbel um die Wäsche!«, rief Gloria verdrießlich. »Ich kümmere mich schon darum.«
»Ich mache keinen Wirbel. Ich teile mir gern die Mühe mit dir, aber wenn uns die Taschentücher ausgehen, wird’s höchste Zeit, dass wir etwas unternehmen.«
Anthony fand sich außergewöhnlich logisch. Aber Gloria, völlig unbeeindruckt, legte ihre Schminksachen beiseite und kehrte ihm ungerührt den Rücken.
»Hak mich doch mal zu«, bat sie. »Anthony, Liebster, ich hab’s völlig vergessen. Ich hatte es vor, wirklich, und heute werde ich mich darum kümmern. Sei deinem Schatz nicht böse!«
Was blieb Anthony anderes übrig, als sie zu sich auf den Schoß zu ziehen und ihr eine Spur Farbe von den Lippen zu küssen?
»Ich habe nichts dagegen«, murmelte sie mit einem strahlenden, großmütigen Lächeln. »Du kannst mir alle Schminke von den Lippen küssen, wann immer du willst.«
Sie gingen hinunter zum Tee. In einem nahe gelegenen Kurzwarenladen erstanden sie ein paar Taschentücher. Alles war vergessen.
Doch als Anthony zwei Tage später in den Schrank blickte, sah er, dass der Beutel immer noch schlaff an seinem Haken hing und der bunte, farbenfrohe
Weitere Kostenlose Bücher