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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Wäschestoß auf dem Boden überraschend in die Höhe gewachsen war.
    »Gloria!«, rief er aus.
    »Oje…« Ihre Stimme klang wirklich gequält. Verzweifelt ging Anthony ans Telefon und rief das Zimmermädchen.
    [219] »Es scheint«, sagte er ungehalten, »du erwartest von mir, dass ich eine Art französischen Kammerdiener für dich spiele.«
    Gloria lachte so ansteckend, dass Anthony unklug genug war zu lächeln. Der Ärmste! Auf unbegreifliche Weise hatte sein Lächeln sie zur Herrin der Situation gemacht – mit einer Miene gekränkter Selbstgerechtigkeit stapfte sie zum Schrank und begann ungestüm ihre Wäsche in den Beutel zu stopfen. Beschämt sah Anthony ihr zu.
    »Da!«, sagte sie, womit sie zu verstehen gab, dass sie sich unter einem brutalen Aufseher die Finger wund gearbeitet hatte.
    Nichtsdestoweniger war er der Meinung, dass er ihr einen Denkzettel verpasst hatte und dass die Sache damit erledigt war – doch im Gegenteil, sie fing erst richtig an. Ein Stoß Wäsche folgte auf den anderen – in langen Abständen; eine Taschentuchnot folgte auf die andere – in kurzen; ganz zu schweigen von dem Mangel an Socken, an Hemden, an allem. Schließlich wurde Anthony klar, dass er die Wäsche entweder selbst weggeben oder sich auf die immer unerfreulichere Nervenprobe eines Wortgefechts mit Gloria einlassen musste.
    Gloria und General Lee
    Auf ihrem Weg nach Osten machten sie zwei Tage in Washington Station, wo sie mit einigermaßen feindseligen Gefühlen in einer Atmosphäre von harsch abweisendem Licht, von Abstand ohne Freiheit, Gepränge ohne Pracht [220] umherschlenderten – die Stadt schien käsig bleich und ihrer selbst unsicher. Am zweiten Tag unternahmen sie unklugerweise einen Ausflug zum ehemaligen Wohnsitz von General Lee in Arlington.
    Der Bus war überfüllt mit schwitzenden, nicht sehr wohlhabenden Leuten, und Anthony, der Gloria inzwischen gründlichst kannte, spürte, wie sich ein Unwetter zusammenzog. Es entlud sich beim Zoo, wo die Gesellschaft zehn Minuten anhielt. Der Zoo, so hatte es den Anschein, roch nach Affen. Anthony lachte; Gloria flehte den Fluch des Himmels auf die Affen herab und schloss in ihrer Boshaftigkeit sämtliche Busfahrgäste und deren transpirierende Sprösslinge ein, die bereits zum Affenhaus geeilt waren.
    Endlich fuhr der Bus weiter nach Arlington. Dort traf er auf andere Busse. Eine Horde Frauen und Kinder hinterließ in den Sälen General Lees sogleich eine Spur von Erdnussschalen, anschließend drängten sie sich in den Raum, in dem er geheiratet hatte. An einer Wand verkündete ein gefälliges Schild mit großen roten Lettern: »Damentoilette«. Unter diesem letzten Schlag brach Gloria zusammen.
    »Ich finde es ganz und gar entsetzlich!«, sagte sie wütend. »Die Idee, diese Leute hierherkommen zu lassen! Und sie dazu auch noch zu ermuntern, indem man aus solchen Häusern Schaukästen macht.«
    »Nun ja«, wandte Anthony ein, »wenn man sie nicht pflegen würde, würden sie verfallen.«
    »Und wenn schon!«, rief sie aus, als sie der breiten Säulenhalle zustrebten. »Glaubst du etwa, die haben hier drinnen auch nur einen Hauch von 1860 belassen? Es ist ein Haus von 1914 daraus geworden.«
    [221] »Willst du denn gar nichts Altes bewahren?«
    »Aber das kann man doch gar nicht, Anthony. Schöne Dinge wachsen bis zu einer gewissen Höhe, dann verwelken und verblassen sie und hauchen, während sie vermodern, Erinnerungen aus. Und so wie jede Epoche in unserem Gedächtnis vermodert, so sollten auch die Dinge aus dieser Epoche vermodern, auf diese Weise werden sie eine Weile in den wenigen Herzen bewahrt, die wie meines auf sie ansprechen. Zum Beispiel der Friedhof von Tarrytown. Die Esel, die ihr Geld dazu hergeben, Dinge zu bewahren, haben auch den ruiniert. Sleepy Hollow ist fort; Washington Irving ist tot, und seine Bücher verrotten Jahr für Jahr mehr in unserer Wertschätzung – dann soll man auch den Friedhof verrotten lassen, wie es sich für ihn, wie es sich für alle Dinge gehört. Der Versuch, ein Jahrhundert zu bewahren, indem man seine Überreste auf den neuesten Stand bringt, ist ganz dasselbe, als wollte man einen sterbenden Mann mit Aufputschmitteln am Leben erhalten.«
    »Dann glaubst du also, so wie eine Zeit verfällt, sollten auch die Häuser dieser Zeit verfallen?«
    »Natürlich! Würdest du etwa deinen Brief von Keats werthalten, wenn jemand die Unterschrift nachzöge, damit sie länger hält? Gerade weil ich die Vergangenheit liebe,

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