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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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starrte.
    »Was ist, Liebster?«, murmelte sie.
    »Nichts« – er hatte sich wieder aufs Kissen zurücksinken lassen und wandte sich ihr zu –, »nichts, liebste Gattin.«
    »Sag nicht ›Gattin‹. Ich bin deine Geliebte. ›Gattin‹ ist ein so hässliches Wort. Deine ›ständige Geliebte‹ ist so viel klarer und wünschenswerter… Komm in meine Arme«, fügte sie in einer Anwandlung von Zärtlichkeit hinzu. »Ich kann so gut, so gut schlafen, wenn du in meinen Armen liegst.«
    »In Glorias Arme zu kommen« hatte eine ganz bestimmte Bedeutung. Es erforderte, dass er einen Arm unter ihre Schulter schob, beide Arme um sie schlang und sich so eng wie möglich an sie schmiegte – eine Art dreiwandiges Kinderbettchen, in dem sie mit wohligem Genuss ruhen konnte. Anthony, der sich herumwarf, dem nach einer halben Stunde in dieser Lage kribbelnd die Arme einschliefen, wartete immer, bis sie eingeschlummert war, und drehte sie sanft auf ihre Hälfte des Betts – dann, sich selbst überlassen, rollte er sich wie stets zu einem Knäuel zusammen.
    Nachdem Gloria ihre sentimentale Tröstung zuteil geworden war, zog sie sich in ihren Schlummer zurück. Auf Bloeckmans Reisewecker verstrichen fünf Minuten; Stille lag im Zimmer, auf dem unvertrauten, unpersönlichen Mobiliar und an der niederen Zimmerdecke, die zu beiden [211] Seiten unmerklich in unsichtbare Wände überging. Plötzlich war am Fenster ein rüttelndes Flattern zu hören, abgehackt und laut in der stillen, stickigen Zimmerluft.
    Mit einem Satz sprang Anthony aus dem Bett und blieb verkrampft davor stehen.
    »Wer da?«, rief er mit entsetzter Stimme.
    Gloria lag ganz still, hellwach, voll in Anspruch genommen – nicht so sehr von dem Gerüttel als von der starren, atemlosen Gestalt, deren Stimme von der Seite des Bettes ins drohende Dunkel hallte.
    Das Geräusch verstummte; das Zimmer lag still wie zuvor – dann stieß Anthony am Telefon Worte hervor.
    »Gerade hat jemand versucht, ins Zimmer einzubrechen! Am Fenster ist jemand!« Seine Stimme, noch immer leicht erschrocken, war jetzt voller Nachdruck.
    »Gut! Beeilen Sie sich!« Er hängte ein; blieb reglos stehen.
    An der Tür herrschte Andrang und Tumult, es klopfte – Anthony ging hin und öffnete einem aufgeregten Nachtportier, hinter ihm eine Gruppe von drei Pagen, die ihn anstarrten. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt der Nachtportier, drohend wie eine Waffe, einen feuchten Federhalter; einer der Pagen hatte sich ein Telefonbuch gegriffen, das er nun blöde beglotzte. Zu der Gruppe gesellte sich augenblicklich der eilends herbeigerufene Hausdetektiv, und wie ein Mann stürzten sie ins Zimmer.
    Mit einem Klacken sprang das Licht an. Gloria raffte ein Laken um sich und ging in Deckung. Sie schloss die Augen, um das Grauen dieser unerwarteten Heimsuchung nicht an sich heranzulassen. In ihrer Empfindsamkeit schwer [212] getroffen, zweifelte sie auch nicht einen Augenblick daran, dass ihr Anthony einem schweren Irrtum unterlegen war.
    Der Nachtportier sprach vom Fenster her, sein Tonfall halb der eines Domestiken, halb der eines Lehrers, der einen Schuljungen rügt.
    »Hier ist niemand«, verkündete er schlüssig, »mein Gott, da draußen könnte überhaupt niemand sein. Zur Straße hin fällt es fünfzehn Meter steil ab. Was Sie gehört haben, muss der Wind gewesen sein, der am Rollladen rüttelt.«
    »Oh.«
    Daraufhin tat er ihr leid. Nur trösten wollte sie ihn und ihn zärtlich wieder in die Arme schließen, ihnen sagen, dass sie gehen sollten, weil das, was sich mit ihrer Gegenwart verband, abscheulich war. Doch vor lauter Scham konnte sie den Kopf nicht heben. Sie hörte einen abgebrochenen Satz, Entschuldigungen, die Gemeinplätze des Angestellten und das ungezügelte Gekicher eines der Hotelpagen.
    »Ich bin schon den ganzen Abend höllisch nervös«, sagte Anthony. »Irgendwie hat mich das Geräusch verschreckt – ich war noch im Halbschlaf.«
    »Gewiss, ich verstehe«, sagte der Nachtportier mit wohltuendem Taktgefühl, »ist mir selber auch schon passiert.«
    Die Tür fiel ins Schloss; die Lichter wurden ausgeknipst; Anthony kam leise zurück und kroch ins Bett. Gloria täuschte Schlaftrunkenheit vor, stieß einen leisen, kurzen Seufzer aus und glitt wieder in seine Arme.
    »Was war denn, Lieber?«
    »Nichts«, erwiderte er mit immer noch zitternder Stimme. »Ich glaubte, es sei jemand am Fenster gewesen, da habe ich hinausgeschaut, aber ich konnte niemanden sehen, und [213] das

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