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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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möchte ich, dass dieses Haus zurückblickt auf den bezaubernden Moment der Jugend und der Schönheit und dass seine Treppen knarren wie unter den Schritten von Frauen in Reifröcken und Männern in Stiefeln und Sporen. Aber was hat man daraus gemacht? Eine blondierte, rotgeschminkte alte Frau von sechzig Jahren. Es hat kein Recht, so blühend auszusehen. Es sollte sich genug aus Lee machen, [222] um hin und wieder einen Ziegelstein zu verlieren. Wie viele von diesen – diesen Tieren « – sie wedelte mit der Hand umher – »haben überhaupt etwas davon, trotz aller Geschichtsbücher und Reiseführer, die es gibt, trotz aller Restaurationsarbeiten? Wie viele von ihnen, die im besten Fall der Meinung sind, Aufgeschlossenheit bedeute, im Flüsterton zu reden und auf Zehenspitzen zu gehen, würden überhaupt hierherkommen, wenn es ihnen Mühe machen würde? Ich möchte, dass es nach Magnolien duftet statt nach Erdnusskernen, und ich möchte, dass meine Schuhe auf demselben Kies knirschen, auf dem schon Lees Stiefel geknirscht haben. Es gibt keine Schönheit ohne Schmerzlichkeit und keine Schmerzlichkeit ohne das Gefühl, dass alles vergeht, Männer, Namen, Bücher, Häuser – staubgeboren, sterblich…«
    Neben ihnen tauchte ein kleiner Junge auf. Er schwang eine Handvoll Bananenschalen und schleuderte sie heldenhaft in Richtung Potomac.
    Gefühlsaufwallung
    Zeitgleich mit dem Fall von Liège trafen Anthony und Gloria in New York ein. Im Rückblick kamen ihnen die sechs Wochen erstaunlich glücklich vor. Sie hatten entdeckt, dass sie, wie bis zu einem gewissen Maße die meisten jungen Paare, in hohem Grade Ticks, Wunderlichkeiten und schrullige Ansichten gemein hatten; im Grunde waren sie wie füreinander geschaffen.
    Aber ihre Gespräche alle auf dem Niveau einer [223] Diskussion zu halten, hatte sie angestrengt. Argumente wirkten sich auf Glorias Laune verhängnisvoll aus. Ihr ganzes Leben lang war sie mit geistig unterlegenen Männern zusammengewesen oder mit solchen, die es, von ihrer Schönheit fast feindselig eingeschüchtert, nicht gewagt hatten, ihr zu widersprechen; so irritierte es sie natürlich, als Anthony aus einem Zustand erwachte, in dem ihm ihre Äußerungen als unfehlbare und endgültige Entscheidungen galten.
    Zuerst erkannte er nicht, dass dies eine Folge teils ihrer »weiblichen« Erziehung, teils ihrer Schönheit war, sondern neigte dazu, sie wie ihr gesamtes Geschlecht als merkwürdig und ausgesprochen beschränkt einzustufen. Es machte ihn rasend, dass sie keinen Gerechtigkeitssinn besaß. Wenn ein Thema sie jedoch interessierte, konnte er feststellen, dass ihr Gehirn weniger rasch ermüdete als seines. Was er an ihrem Verstand vor allem vermisste, war eine teleologische Denkweise – peinlicher Ordnungs- und Genauigkeitssinn, die Auffassung des Lebens als eines rätselhaft aufeinander abgestimmten Stücks Patchwork –, aber nach einer Weile begriff er, dass eine solche Eigenschaft nicht zu ihr gepasst hätte.
    Von allem, was sie gemeinsam hatten, war das Großartigste die beinahe unheimliche Anziehungskraft, die ihre Herzen verband. An dem Tag, als sie aus dem Hotel in Coronado abfahren sollten, setzte sie sich, während er packte, auf eines der Betten und fing bitterlich zu weinen an.
    »Liebste…« Seine Arme umschlangen sie; er zog ihren Kopf an seine Schulter. »Was ist denn, meine einzige Gloria? Sag’s mir.«
    »Wir fahren ab«, schluchzte sie. »Ach, Anthony, das ist [224] der erste Ort, an dem wir zusammengewohnt haben. Unsere beiden kleinen Betten hier – Seite an Seite – werden immer auf uns warten, aber wir werden nie mehr zu ihnen zurückkehren.«
    Damit zerriss sie ihm, wie sie es noch stets vermocht hatte, das Herz. Gefühl übermannte ihn, stieg ihm in die Augen.
    »Aber, aber, Gloria, wir fahren doch nur zu einem anderen Zimmer. Zu zwei anderen kleinen Betten. Wir werden unser ganzes Leben lang zusammensein.«
    Die Worte entströmten ihr mit tiefer, rauher Stimme.
    »Aber es wird nie wieder so sein – wie unsere beiden Betten. Jedesmal, wenn wir gehen, weiterfahren und umziehen, geht etwas verloren – bleibt etwas zurück. Nichts lässt sich wirklich wiederholen, und hier bin ich so sehr die Deinige gewesen…«
    Leidenschaftlich presste er sie an sich, denn weit davon entfernt, ihre Gefühlsaufwallung kritisieren zu wollen, entdeckte er, dass sie die Bedeutung des Augenblicks klug erfasst hatte, sei es auch, dass sie nur ihrem Hang zum Weinen frönte – Gloria, die

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