Die Schönen und Verdammten
sich manchmal mit einem dem Schmerz verwandten Ausdruck in den schmalen braunen Augen von Absatz zu Absatz.
An Sonntag- und Montagnachmittagen las er die Comicseiten der Zeitungen. Eine Witzzeichnung, die einen drolligen japanischen Butler zeigte, belustigte ihn ungemein, auch wenn er behauptete, der Protagonist, von Anthony eindeutig als Orientale eingeschätzt, habe in Wahrheit ein amerikanisches Gesicht. Die Schwierigkeit mit der Bildgeschichte bestand darin, dass ihm, kaum hatte er mit Anthonys Hilfe mühsam die letzten drei Bilder entziffert und ihren Kontext mit einer Konzentration verarbeitet, die Kants Kritik angemessen gewesen wäre, völlig entfallen war, wovon die ersten Bilder handelten.
Mitte Juni feierten Anthony und Gloria ihren ersten Hochzeitstag mit einem ›Rendezvous‹. Anthony klopfte an die Tür, und sie lief herbei, ihn einzulassen. Dann saßen sie zusammen auf der Couch und nannten sich bei all den Namen, die sie füreinander erdacht hatten – neue Zusammenstellungen uralter Kosenamen. Indessen folgte diesem ›Rendezvous‹ kein abgemildertes »Gute Nacht« mit seiner Ekstase des Bedauerns.
[258] Im Lauf des Juni schielte das Entsetzen nach Gloria, schlug nach ihr und ängstigte ihre heitere Seele. Dann schwand es langsam, zog sich zurück in jene undurchdringliche Finsternis, aus der es gekommen war – und nahm sich erbarmungslos sein Gran Jugend.
Mit einem untrüglichen Gefühl für Dramatik suchte es sich eine kleine Bahnstation in einem armseligen Dorf bei Portchester aus. Den ganzen Tag über lag der Bahnsteig kahl wie eine Prärie da, der staubig gelben Sonne preisgegeben und den Blicken jener Landbewohner vom unangenehmsten Schlag, die in der Nähe einer Metropole wohnen und zwar deren billigen Schick, nicht aber auch ihre Weltgewandtheit erlangt haben. Ein Dutzend dieser Bauerntölpel, rotäugig, traurig wie Vogelscheuchen, wurden Zeugen des Vorfalls. Trübe zog er an ihren verwirrten und verständnislosen Gemütern vorüber, wurde im breitesten Sinne als grober Scherz, im zartesten als »Schande« aufgefasst. Unterdessen schwand dort auf dem Bahnsteig ein gewisses Maß an Glanz und Farbe aus der Welt.
Mit Eric Merriam hatte Anthony den ganzen heißen Sommernachmittag über vor einer Karaffe Scotch gesessen, während Gloria und Constance Merriam im Beach Club schwammen und sich sonnten, letztere unter einem gestreiften Sonnensegel, Gloria sinnlich auf den weichen, heißen Sand hingestreckt, wo sie – was sonst? – ihre Beine bräunte. Später hatten sie alle vier an belanglosen Sandwiches herumgekaut; dann war Gloria aufgestanden und hatte mit ihrem Parasol Anthonys Knie angetippt, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Liebling, wir müssen gehen.«
[259] »Schon?« Unwillig sah er sie an. In diesem Augenblick schien ihm nichts wichtiger, als auf der schattigen Veranda zu faulenzen und milden Scotch zu trinken, während sein Gastgeber sich in endlosen Erinnerungen an die Nebenschauplätze irgendeiner vergessenen politischen Kampagne erging.
»Wir müssen wirklich gehen«, wiederholte Gloria. »Wir können ein Taxi zum Bahnhof nehmen… Komm, Anthony!«, befahl sie, schon etwas gebieterischer.
»Nun warte doch…« Merriam, dessen Redefluss unterbrochen war, brachte die üblichen Einwendungen vor und füllte zugleich herausfordernd das Glas seines Gastes mit einem Highball, an dem man zehn Minuten hätte schlürfen sollen. Aber auf Glorias verärgertes »Wirklich, wir müssen !« hin trank Anthony aus, erhob sich und machte vor seiner Gastgeberin einen formvollendeten Kratzfuß.
»Offensichtlich ›müssen‹ wir«, sagte er ohne jede Anmut.
Gleich darauf ging er auf dem Gartenpfad zwischen hohen Rosensträuchern hinter Gloria her, die mit ihrem Parasol sanft die Juni-Blütenblätter streifte. Wie rücksichtslos, dachte er, als sie zur Straße gelangten. Mit gekränkter Naivität empfand er, dass Gloria ein so unschuldiges und harmloses Vergnügen nicht hätte unterbrechen dürfen. Der Whisky hatte die rastlosen Gedanken in seinem Kopf besänftigt wie auch geläutert. Es kam ihm so vor, als hätte sie dieselbe Haltung schon mehrfach eingenommen. Sollte er sich für immer auf eine Berührung ihres Sonnenschirms oder ein Zucken ihres Augenlids hin aus angenehmen Situationen zurückziehen? Sein Unwille steigerte sich zu einem Groll, der unaufhaltsam wie eine Luftblase in ihm [260] aufstieg. Störrisch unterdrückte er den Wunsch, ihr Vorwürfe zu machen, und schwieg. Vor
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