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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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mir. So habe ich mein ganzes Leben lang gedacht. Aber es ist nun einmal so, dass ich dich will, deshalb ist für andere Wünsche kein Platz mehr.«
    Sie fuhren eben durch ein verdorrtes und lebloses Indiana gen Osten, und sie hatte von einem ihrer geliebten Filmheftchen aufgeblickt, nur um festzustellen, dass aus zwanglosem Geplauder mit einemmal Ernst wurde.
    Anthony starrte mit finsterer Miene aus dem Abteilfenster. Als das Gleis über eine Landstraße führte, war für einen Moment ein Farmer auf seinem Fuhrwerk zu sehen; er kaute an einem Strohhalm. Anscheinend war es derselbe Farmer, an dem sie schon ein dutzendmal vorbeigekommen waren, der da saß in schweigsamer, feindseliger Sinnbildlichkeit. Als Anthony sich zu Gloria umdrehte, verfinsterte sich seine Miene noch mehr.
    [255] »Du beunruhigst mich«, brachte er vor. »Unter gewissen vorübergehenden Umständen kann ich mir durchaus vorstellen, eine andere Frau zu wollen, nicht aber, sie auch zu nehmen. «
    »Aber so empfinde ich nun einmal nicht, Anthony. Ich würde mich nicht bemühen, Dingen zu widerstehen, die ich will. Meine Art ist es, sie gar nicht erst zu wollen – niemanden zu wollen als dich allein.«
    »Aber wenn ich daran denke, dass du an irgendjemandem einfach Gefallen finden könntest…«
    »Ach, sei doch nicht so ein Dummkopf!«, rief sie aus. »Das hätte doch nichts Beiläufiges. Und allein die Möglichkeit kann ich mir gar nicht vorstellen.«
    Damit war das Gespräch nachdrücklich beendet. Anthonys unfehlbares Verständnis ließ sie in seiner Gesellschaft glücklicher sein als in der irgendeines anderen. Sie hatte Gefallen an ihm – sie liebte ihn. So begann der Sommer im Grunde wie der zuvor.
    In ihrer Haushaltung freilich trat eine radikale Veränderung ein. Die Skandinavierin mit dem kalten Herzen, deren karge Küche und sardonische Aufwartung bei Tisch Gloria so bedrückt hatte, wurde von einem überaus tüchtigen Japaner abgelöst, der Tanalahaka hieß, jedoch bekannte, auf jeden Ruf zu hören, der den Zweisilber »Tana« enthalte.
    Tana war selbst für einen Japaner ungewöhnlich klein und ließ eine etwas naive Auffassung seiner Person als Mann von Welt durchscheinen. An dem Tag, als er von »R. Gugimoniki, zuverlässiges japanisches Stellenvermittlungsbüro« geschickt wurde, lud er Anthony auf sein Zimmer, um ihm die Schätze seines Schrankkoffers vorzuführen. Zu [256] diesen zählte eine umfangreiche Sammlung japanischer Ansichtskarten, die er seinem Arbeitgeber auf der Stelle zu erläutern gedachte, jede für sich und in aller Ausführlichkeit. Darunter befand sich ein halbes Dutzend in pornographischer Absicht, die eindeutig amerikanischer Herkunft waren, auch wenn die Hersteller sowohl ihren Namen wie auch das Adressenfeld in aller Bescheidenheit weggelassen hatten. Danach förderte er einige seiner Handarbeiten zutage – eine amerikanische Hose, die er selbst geschneidert hatte, und zwei Garnituren Leibwäsche aus reiner Seide. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit teilte er Anthony den Zweck mit, dem Letztere vorbehalten waren. Das nächste Ausstellungsstück war die recht gelungene Kopie eines Kupferstichs von Abraham Lincoln, dessen Gesicht er einen unverkennbar japanischen Schnitt verliehen hatte. Als Letztes kam eine Flöte; er hatte sie selbst geschnitzt, aber sie war entzweigegangen; er würde sie bald reparieren.
    Nach diesen höflichen Formalitäten, die, wie Anthony mutmaßte, eine japanische Besonderheit waren, hielt Tana in gebrochenem Englisch eine lange Ansprache über die Beziehung zwischen Herr und Knecht, der Anthony entnahm, dass er auf großen Gütern gearbeitet, sich jedoch mit den anderen Knechten stets überworfen hatte, weil diese nicht ehrlich waren. Sie hielten sich lange bei dem Wort »lügen« auf und ärgerten sich sogar ziemlich übereinander, weil Anthony hartnäckig behauptete, Tana meine wohl »fliegen«, und sogar so weit ging, wie eine Biene zu summen und mit den Armen wie mit Flügeln zu flattern.
    Nach einer Dreiviertelstunde wurde Anthony mit der herzlichen Versicherung entlassen, dass sie auch fürderhin [257] zwanglose Gespräche führen würden, in deren Verlauf Tana ihm mitteilen werde, »wie wil es in meinem Land halten«.
    Das war Tanas weitschweifiger Dienstantritt im grauen Haus – und er machte sein Versprechen wahr. Wenn auch gewissenhaft und ehrenwert, so war er doch zugleich ein entsetzlicher Wiederkäuer. Er schien außerstande, seine Zunge im Zaum zu halten, und hangelte

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