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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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ihn zu lieben – das war natürlich undenkbar –, so war es doch [266] zweifelhaft, ob Gloria ohne ihren Hochmut, ihre Unabhängigkeit, ihre jungfräuliche Zuversicht und Beherztheit noch immer das Mädchen seiner Verehrung sein würde, die strahlende Frau, die kostbar und entzückend war, weil unbeschreiblich und triumphal sie selbst.
    Selbst jetzt war er noch betrunken, so betrunken, dass er seine eigene Trunkenheit nicht bemerkte. Als sie im grauen Haus angekommen waren, ging er auf sein Zimmer und quälte sich hilflos und trübsinnig damit, was er getan hatte, ehe er auf seinem Bett in tiefe Betäubung versank.
    Es war nach ein Uhr, und der Gang schien außerordentlich still, als Gloria ihn, schlaflos und mit aufgerissenen Augen, durchquerte und die Tür zu seinem Zimmer aufstieß. Er war zu bezecht gewesen, um die Fenster zu öffnen, und die Luft war stickig und stank nach Whisky. Einen Augenblick blieb sie an seinem Bett stehen, in ihrem knabenhaften Seidenpyjama eine schlanke, höchst graziöse Gestalt – dann warf sie sich hingebungsvoll auf ihn und benetzte seinen Hals mit warmen Tränen. Mit der Gefühlsgewalt ihrer Umarmung hätte sie ihn beinahe geweckt.
    »Oh, Anthony!«, rief sie leidenschaftlich. »Oh, mein Liebling, du weißt nicht, was du angerichtet hast!«
    Am Morgen jedoch kam er früh in ihr Zimmer, kniete an ihrem Bett nieder und weinte wie ein kleiner Junge, gerade so, als habe es ihm das Herz gebrochen.
    »Gestern Abend kam es mir vor«, sagte sie ernst und spielte mit den Fingern in seinem Haar, »als sei all das, was du an mir geliebt hast, all das, was es wert ist, gekannt zu werden, aller Stolz und alles Feuer aus mir gewichen. Ich [267] wusste, was noch in mir war, würde dich stets lieben, aber nie wieder auf genau dieselbe Art.«
    Doch sie ahnte schon, dass sie mit der Zeit vergessen würde und dass das Leben nur selten die Angewohnheit hat, auf uns einzuschlagen, dafür aber umso mehr die, uns zu verschleißen. Nach diesem Morgen wurde über den Vorfall nie wieder ein Wort verloren, und die tiefe Wunde, die er hinterlassen hatte, heilte von Anthonys Hand – und wenn etwas triumphierte, dann war es eine dunklere Macht, die die Erinnerung und den Sieg davontrug.
    Wie alle echten und großen Eigenschaften war Glorias Unabhängigkeit unbewusst aufgekeimt, doch erst als sie zu Anthonys Faszination sichtbar geworden war, wurde auch Gloria ihrer gewahr, und nun leitete sie fast einen formalen Kodex daraus ab. Ihre Art zu reden ließ darauf schließen, dass all ihre Energie und Vitalität in die heftige Befürwortung des negativen Prinzips »Alles andere kann mir gestohlen bleiben« einmündeten.
    »Alles und jeder«, sagte sie, »außer mir, und infolgedessen: außer Anthony. Das ist das Gesetz allen Lebens, und selbst wenn es anders lautete – ich wäre ohnehin so veranlagt. Wenn es sich für ihn nicht lohnt, würde keiner etwas für mich tun, und genauso wenig tue ich etwas für ihn.«
    Sie stand auf der vorderen Veranda bei der nettesten Dame in Marietta, als sie das sagte, und als sie ausgeredet hatte, stieß sie einen absonderlichen leisen Schrei aus und sank in tiefer Ohnmacht zu Boden.
    Die Dame brachte sie wieder zu sich und fuhr sie in ihrem Wagen nach Hause. Der schätzenswerten Gloria war [268] der Gedanke gekommen, dass sie womöglich guter Hoffnung sei.
    Sie lag auf dem langen Sofa im Erdgeschoss. Der warme Tag entschwand durchs Fenster und streifte die späten Rosen an den Verandasäulen.
    »Ich denke immer nur, dass ich dich liebe«, klagte sie. »Ich achte meinen Körper, weil du ihn schön findest. Und dieser mein – dein – Körper! Zu denken, dass er hässlich und unförmig wird! Es ist schlichtweg unerträglich. O Anthony, vor den Schmerzen fürchte ich mich nicht.«
    Verzweifelt versuchte er, sie zu trösten – vergebens.
    Sie fuhr fort: »Und dann habe ich womöglich breite Hüften und bin blass, und all meine Frische ist fort und kein Glanz im Haar.«
    Die Hände in den Taschen, ging er auf und ab und fragte: »Bist du dir denn sicher?«
    » Ich weiß gar nichts. Gynäkophobie, oder wie das heißt, ist mir immer verhasst gewesen. Ich dachte, irgendwann einmal würde ich ein Kind haben. Aber nicht jetzt.«
    »Um Himmels willen, lieg doch nicht so da und dreh durch.«
    Ihr Schluchzen ließ nach. Dem Zwielicht, von dem das Zimmer erfüllt war, entnahm sie ein barmherziges Schweigen. »Knips die Lichter an«, bat sie. »Die Tage kommen mir so kurz vor; als ich klein

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