Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
beschloss, dass Mrs. Gilberts Seele in ihrer gegenwärtigen Inkarnation genügend gealtert sei. So fuhr Anthony eine unglückliche und hysterische Gloria hinaus nach Kansas City, wo sie der Toten, nach der Art der Menschen, die schreckliche und erschütternde letzte Ehre erwiesen.
    Zum ersten und letzten Mal in seinem Leben gab Mr. Gilbert eine wahrhaft klägliche Figur ab. Die Frau, die er [251] dazu abgerichtet hatte, seinem Körper aufzuwarten und seinem Geist als andächtige Gemeinde zu dienen, hatte ihn verlassen – ironischerweise gerade dann, als er sie nicht mehr lange hätte ernähren können. Nie wieder würde er imstande sein, eine Menschenseele so zufriedenstellend zu langweilen und zu drangsalieren.

[252] Symposium
    Gloria hatte Anthonys Geist in den Schlaf gelullt. Sie, die von allen Frauen die klügste und schönste schien, hing wie ein glänzender Vorhang vor seiner Tür und sperrte das Sonnenlicht aus. Während der ersten Jahre trugen alle seine Ansichten unweigerlich den Stempel Glorias; die Sonne sah er stets nur durch das Muster des Vorhangs.
    Eine Art Mattigkeit führte sie auf einen weiteren Sommer nach Marietta. Einen goldenen, entkräftenden Frühling lang waren sie, unruhig und unter trägen Ausschweifungen, die kalifornische Küste entlanggefahren, hatten sich zwischenzeitlich anderen Partien zugesellt und sich von Pasadena nach Coronado, von Coronado nach Santa Barbara treiben lassen, offenkundig zu keinem anderen Zweck als zur Befriedigung von Glorias Verlangen, zu einer anderen Musik zu tanzen oder in den wechselnden Farben des Meeres eine winzige Variante zu entdecken. Aus dem Pazifik erhoben sich, sie zu grüßen, wilde Felsvorsprünge und ebenso barbarische Wirtshäuser, eigens dazu errichtet, dass man sich zur Teestunde schläfrig in eine Garnitur Korbstühle lümmelte, verschönert von Polohemden aus Southampton und Lake Forest, Newport und Palm Beach. Und wenn in der friedlichsten der Buchten sprühend und glitzernd die Wellen aufeinandertrafen, schlossen sie sich dieser oder [253] jener Gruppe an, bewegten sich von Ort zu Ort und murmelten etwas von den sonderbar unstofflichen Freuden, die gleich hinter dem nächsten grünen und fruchtbaren Tal auf sie warteten.
    Es waren Angehörige der begüterten Klassen, einfach und gesund – die besten Männer auf angenehme Weise noch ohne Abschluss: Sie schienen ewige Kandidaten für die Mitgliedschaft in einem vornehmen Klub wie dem ›Porcellian‹ und dem ›Skull & Bones‹, die sich unbegrenzt in die Welt hinaus erstreckten. Die Frauen waren von überdurchschnittlicher Schönheit und zart athletischem Bau, als Gastgeberinnen etwas beschränkt, als Gäste hingegen charmant und unendlich dekorativ. In den lauen Teestunden tanzten sie gesetzt und anmutig die Schrittfolgen ihrer Wahl und führten mit einer gewissen Würde jene Bewegungen aus, die von Büroangestellten und Revuetänzerinnen im ganzen Land so entsetzlich travestiert wurden. Ironischerweise taten sich in diesem einen verrufenen Abkömmling der Künste unstreitig Amerikanerinnen hervor.
    Nachdem Anthony und Gloria einen verschwenderischen Frühling vertanzt und verplanscht hatten, stellten sie fest, dass sie zu viel Geld ausgegeben hatten und sich daher eine Zeitlang aus der Gesellschaft zurückziehen mussten. Da war Anthonys »Arbeit«, sagten sie. Noch bevor es ihnen klargeworden war, befanden sie sich wieder im grauen Haus und merkten erst jetzt, dass dort auch andere Liebende genächtigt hatten, andere Namen über das Geländer gerufen worden waren, andere Paare auf den Verandastufen gesessen und die graugrünen Felder und die schwarze Masse der Wälder dahinter betrachtet hatten.
    [254] Anthony war vielleicht etwas rastloser, geneigt, sich nur unter dem Einfluss etlicher Highballs zu beleben, und ein wenig, fast unmerklich, gleichgültig gegen Gloria. Doch Gloria – im August würde sie vierundzwanzig werden und geriet deswegen in eine reizende, aber aufrichtig empfundene Panik. Nur noch sechs Jahre bis zum Dreißigsten! Wäre sie weniger in Anthony verliebt gewesen, so hätte sich ihr Gefühl, wie schnell die Zeit verflog, in einem neu entfachten Interesse an anderen Männern geäußert, in der bewussten Absicht, jedem potentiellen Liebhaber, der ihr unter gesenkten Lidern über eine glänzende Tafel hinweg Blicke zuwarf, den flüchtigen Schimmer einer Romanze zu entlocken.
    Eines Tages sagte sie zu Anthony: »Ich habe das Gefühl, falls ich etwas will, nehme ich es

Weitere Kostenlose Bücher