Die schönste Zeit des Lebens
sagt.
Bis zum Zimmer 211 sind es nur ein paar Schritte den gleißend hellen Gang entlang. Robert steht vor der Tür, zögert, tritt näher, hebt schon die Hand, um anzuklopfen, tritt noch einmal zurück. Was soll er sagen? Dass er sich geirrt hat, dass er Frau Abel sucht. Und dann? Woher soll er wissen, wer von den Frauen in dem Zimmer Frau Lehmann ist? Ein Beckenbruch. Woran erkennt man, dass jemand wegen eines Beckenbruchs operiert worden ist? Während Robert vor der Tür steht und nicht weiß, ob er anklopfen soll oder nicht, bemerkt er aus den Augenwinkeln, dass am Ende des Gangs jemand einen Rollwagen aus dem Lift schiebt und näher kommt. Er muss sich entscheiden, er kann unmöglich hier vor der Tür stehen bleiben. Er tritt einen Schritt zurück, dreht sich um, will zum Lift.
Hallo, Robert!
Vor ihm im weißen Kittel, das Haar aufgesteckt, steht eine junge Frau und lacht in sein verdutztes Gesicht. Das kann nicht wahr sein, denkt er. Und dann: Warum soll es nicht wahr sein? Irgendwo muss sie ja wohl arbeiten, warum nicht hier im Krankenhaus.
Hallo, Fari.
Er sagt es fast beiläufig, so, als wäre es das Allergewöhnlichste von der Welt, dass sie sich hier auf dem Flur im zweiten Stock des Krankenhauses treffen. Aber sie dabei anzuschauen, wagt er nicht.
Willst du jemand besuchen?, fragt Fari.
Ich habe jemand besucht, antwortet er.
Auf 211?
Nein, sagt er. Die Frau Abel von 203.
Sie mustert ihn mit ihren großen dunklen Augen, ein wenig spöttisch, wie er zu erkennen meint. Aber das kann ein Irrtum sein.
Die Frau Abel, sagt er, wird von mir betreut. Ich mach Zivildienst bei der offenen Altenhilfe, und da wollte ich mal sehen, wie es ihr geht mit ihrem Arm.
Ach ja, sagt Fari, und dann: Ich wollte sowieso eine Zigarettenpause machen. Hast du einen Augenblick Zeit?
Sie schiebt den Wagen ins Schwesternzimmer, kommt gleich wieder heraus und geht neben ihm her zum Lift.
Gehst du noch manchmal ins Schock , fragt Robert, als der Lift sich nach unten in Bewegung setzt.
In der Woche nicht, sagt sie. Ich muss zu früh raus. Aber am Wochenende vielleicht. Und du?
Manchmal, sagt er. Aber in letzter Zeit war ich nur noch selten dort.
Unten vor der Tür zündet sie sich eine Zigarette an.
Willst du auch eine?
Nein danke, sagt er und denkt im selben Augenblick, dass es vielleicht besser gewesen wäre, die angebotene Zigarette anzunehmen. Dann wüsste er jetzt wenigstens, was er mit seinen Händen machen soll. Tatsächlich hat er nie geraucht, nicht ein einziges Mal hat er es versucht. Vielleicht, weil Vater und Mutter rauchen, vielleicht aber auch, weil er sich schon damit abgefunden hat, immer ein wenig im Abseits zu stehen.
Du rauchst nicht?
Nein, sagt er.
Dachte ich mir.
Sie sieht ihn lächelnd, fast ein bisschen triumphierend an: Dachte ich mir.
Wieso hast du dir das gedacht?
Weiß nicht. Irgendwie dachte ich mir, dass du nicht rauchst.
Sie stehen eine Weile nebeneinander, an das Eisengeländer gelehnt, das die überdachte Vorfahrt des Krankenhauses von der Straße trennt, und schweigen. Zwei-, dreimal sieht es so aus, als wolle Robert etwas sagen.
Diese Frau Lehmann mit dem Unfall, sagt er schließlich, weißt du zufällig, wie es der geht?
Sie schaut ihn überrascht an, überrascht und ein wenig misstrauisch.
Gut, soviel ich weiß, sagt sie. Die Operation ist jedenfalls gut verlaufen. Aber wieso willst du das wissen?
Robert fühlt, wie eine Last von ihm abfällt. Seit Tagen geht ihm im Kopf herum, was der Polizist zu ihm gesagt hat: So ein Beckenbruch ist kein Spaß, vor allem wenn man schon etwas älter ist. Die Erleichterung ist ihm anzusehen. Über das ganze Gesicht grinst er. Aber da ist noch eine Frage zu beantworten.
Wieso willst du das wissen?, fragt Fari noch einmal.
Ach, nur so, sagt er. Weil das über den Unfall in der Zeitung stand.
Ihre Augen. Es ist etwas schwer zu Deutendes, etwas Unberechenbares darin. Sie nimmt einen letzten Zug aus ihrer Zigarette, wirft die Kippe auf den Boden und tritt mit dem Schuh darauf.
Wart ihr das? Habt ihr sie angefahren, du und deine Freunde?
Aus heiterem Himmel kommt die Frage, sie trifft ihn wie ein mit voller Wucht geführter Schlag, raubt ihm den Atem. Er steht da, schnappt nach Luft, macht eine Bewegung, als wolle er sich zur Flucht wenden, kann aber gar nicht weg, weil ihr Blick ihn festhält. Nein, hört er sich sagen, aber es klingt alles andere als überzeugend. Und dann, als sei dieses eine Wort ein Signal zum Aufbruch, greift er seinen
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