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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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vergriffen hat? Er bricht ab, schaut fragend zu der alten Dame hinüber.
    Vielleicht wollen Sie doch lieber etwas anderes hören …?
    Aber sie wirft nur kurz den kleinen Kopf in den Nacken und macht eine ungehaltene Handbewegung.
    Nein, lesen Sie! Ich sagte doch, Sie haben richtig gewählt. Lesen Sie nur weiter, immer weiter!
    Schon sammelt sich wieder das feine Lächeln auf ihrem Gesicht, lauscht sie wieder, nach außen und nach innen. Und er liest, zuerst zögernd, als traue er seinen Augen und Ohren nicht, dann immer flüssiger, liest vom König Schehrijar und dessen Bruder, König Schahzaman – was für Namen! –, wie zuerst der eine, dann der andere sich von seiner Gemahlin hintergangen sieht, ihr und ihrem Geliebten, im Falle Schehrijars auch gleich noch einer stattlichen Schar Sklavinnen und Sklaven, die Zeugen des Ehebruchs geworden sind, den Kopf abschlägt, wie Schehrijar sich fortan vor weiterer Schmach zu schützen trachtet, indem er Nacht für Nacht eine Jungfrau auf sein Lager nimmt und sie am nächsten Tag enthaupten lässt, um so sicherzugehen, dass sie ihn niemals betrügen kann.
    Und von nun an nahm König Schehrijar jede Nacht eine Jungfrau zu sich; der nahm er die Mädchenschaft, und dann tötete er sie, um seiner Ehre gewiss zu sein, und so trieb er es drei Jahre lang. Hier macht der junge Mann eine Pause, streicht sich mit der Linken eine Haarsträhne aus dem Gesicht und will eben mit dem Vorlesen fortfahren, als die alte Dame nach seinem Unterarm tastet, ihn lange drückt, als wollte sie die Festigkeit des Fleisches prüfen, und dann entzückt ausruft: Wie gut sie erzählen!
    Er hat schon Luft geholt, den Mund halb geöffnet, das erste Wort des nächsten Satzes schon auf der Zunge. Pffft … Er ist irritiert. Aber ich lese doch nur vor, was ein anderer aufgeschrieben hat, will er sagen, sagt es dann auch. Sie schüttelt den Kopf, hat mit seinem Einwand gerechnet, lässt ihn nicht gelten.
    Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, junger Mann! Sie sind ein Erzähler. Glauben Sie mir, wenige in Ihrem Alter können so schön über die Liebe sprechen wie Sie. Der junge Mann, der vor Ihnen hier war, hat immer alles durcheinandergebracht. Und genierlich war er! Stechet einen starken Stich! – nie hätte er einen solchen Satz über die Lippen gebracht. Nein, Sie sind ein Erzähler, das hab ich gleich gemerkt, als ich Ihre Stimme zum ersten Mal am Telefon hörte. Aber warten Sie nur ab, wenn jetzt Schehrezad die Bühne betritt, finden Sie eine, die Ihnen ebenbürtig ist.
    Sie kennen das Buch?
    Erstaunen ist in seiner Stimme und ein Anflug von Verärgerung darüber, dass sie erst jetzt damit herauskommt. Sie lässt seinen Unterarm los, lehnt sich zurück und nimmt wieder die Haltung ein, die sie die ganze Zeit innehatte, während er las.
    Ich habe alle Bücher gelesen, die dort hinten stehen, und dieses mehrmals.
    Aber langweilt es Sie denn nicht, wenn ich Ihnen vorlese, was Sie schon kennen?
    Oh nein! So wie Sie die Geschichte lesen, ist sie ganz neu und wunderbar.
    Sie schweigen eine Weile, und dann, in die Stille hinein, beginnt er, weil er nichts mehr zu sagen weiß, wieder zu lesen : Da geriet das Volk in Aufruhr und flüchtete mit den Töchtern, bis keine mannbare Jungfrau mehr in der Stadt war. Doch der König befahl dem Wesir, er solle ihm eine Jungfrau wie gewöhnlich bringen. Und der Wesir ging hin, zu suchen, aber er fand keine Jungfrau. So begab er sich traurig und bedrückt nach Hause …
    Was ist los? Warum lesen Sie nicht weiter?
    Es ist schon nach fünf …
    Lesen Sie! Lesen Sie! Sie können doch jetzt nicht aufhören!
    Und wie er nun fortfährt, zu lesen – oder vielleicht doch zu erzählen? –, wie der Wesir in seiner Not seine eigene Tochter Schehrezad dem König Schehrijar zuführt und diese sich, Geschichten erzählend und Kinder gebärend, in tausend und einer Nacht dem Tod zu entwinden weiß, da vergisst er alles um sich herum, vergisst, dass er eigentlich längst zu Haus sein müsste, wo sein Vater darauf wartet, dass er ihm hilft, die Veranda leer zu räumen, weil die dringend neu gestrichen werden muss.
    Mein Gott! Schon fast sechs. Ich müsste längst zu Hause sein.
    Er klappt das Buch zu, springt auf, ist schon fast an der Tür.
    Wann kommen Sie wieder?
    Plötzlich ist ihr Gesicht angespannt, ein nervöses Flackern huscht über ihre grauen Augen.
    Übermorgen. Zur selben Zeit.
    Übermorgen …
    Sie legt den Kopf ein wenig auf die Seite, als horche sie dem Klang

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