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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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junge Arzt ihr schon die Tür auf, seine Hand berührt ihren Rücken, er sagt etwas, was Robert nicht versteht, sie lacht ihn an. Dann sind beide verschwunden.
    Am Nachmittag kommt die Mutter. Sie sitzt auf dem einzigen Stuhl vor seinem Bett.
    Wie geht es dir, mein Junge?
    Gut, sagt Robert.
    Sie hat ihm Pfirsiche mitgebracht und das Buch, um das er gebeten hat: Rilke, Gesammelte Gedichte .
    Soll ich dir einen Pfirsich in kleine Stücke schneiden?, fragt die Mutter. Dann kannst du ihn besser essen.
    Nein danke, sagt Robert. Das mache ich nachher selbst.
    Sie ergreift seine Hand, drückt sie, drückt sie lange.
    Mein Junge, sagt sie, und er spürt, wie sie sich zusammenreißt, um nicht in Tränen auszubrechen. Ich habe solche Angst um dich gehabt. Solche Angst.
    Robert erwidert kurz den Druck ihrer Hand. Sie tut ihm leid, wie sie dasitzt in ihrer ganzen Hilflosigkeit. Er überlegt, was er sagen kann, etwas, was sie freut, was ihren Kummer lindert, was ihr deutlich macht, dass er sie gern hat. Aber ihm fällt nichts ein, oder was ihm einfällt, bringt er nicht über die Lippen.
    Nach einer Weile räuspert sich die Mutter.
    Draußen auf dem Flur, sagt sie, ist der Papa. Er möchte sich bei dir entschuldigen, aber er weiß nicht, ob du ihn sehen willst.
    Der soll sich erst bei dir entschuldigen, sagt Robert.
    Das hat er schon, sagt die Mutter. Wir haben uns ausgesprochen. Er ist ja nicht allein schuld, dass es so gekommen ist. Aber jetzt, jetzt ist alles wieder in Ordnung.
    Wie ein großer, schwarzer Findling steht der Vater im Zimmer, die Hände ineinandergekrallt, den Blick gesenkt, seine Stimme weich, fast knabenhaft.
    Es tut mir leid, mein Junge. Ich wollte das alles nicht. Es ist …
    Er stockt, sagt nichts mehr, steht nur da, knetet die Hände. Robert will ihn so nicht sehen, will nicht hören, wie der Vater sich klein macht, sich bei ihm entschuldigt.
    Ist schon gut, sagt er. Du kannst ja nichts dafür. Es war ein Unfall.

53
    ALS MARITA AM NÄCHSTEN TAG zu Besuch kommt, treffen sie sich in der Cafeteria des Krankenhauses.
    Gott, siehst du aus, sagt Marita. Tut es noch weh?
    Halb so schlimm, sagt Robert. In einigen Tagen kommt der Verband ab, dann kriege ich ein großes Pflaster auf die Backe. Dann sehe ich schon fast wieder normal aus.
    Marita streicht ihm ganz vorsichtig über seinen bandagierten Kopf.
    Andy ist weg, sagt sie dann.
    Wie, weg?
    Robert spürt an der Art, wie sie es sagt, dass es sich diesmal nicht um eine von Andys üblichen Eskapaden handelt.
    Er hat in Hamburg auf einem Trampliner angeheuert, sagt Marita. Gestern habe ich eine Karte aus Southampton bekommen. Er will nach Südamerika. Chile oder Peru, was weiß ich. Hier, schreibt er, kann man nur leben, wenn man sich zum seelischen Krüppel machen lässt.
    Es geht etwas zu Ende. Wieder hat Robert das Gefühl, dass etwas definitiv zu Ende geht. Und dann? Was kommt dann? Dann kommt das Leben, das richtige Leben, das, wofür man selbst verantwortlich ist, auch wenn man selbst vielleicht gar keinen großen Anteil daran hat, dass es so ist, wie es ist, weil man nur getrieben und herumgeschubst wird.
    Südamerika.
    Robert betrachtet Marita, wie sie ihm gegenüber auf dem Stuhl sitzt, die Hände auf den Oberschenkeln, den Mund leicht geöffnet, sehr aufrecht, sehr gefasst. Sie ist offenbar bereit, das Urteil, wie auch immer es ausfällt, anzunehmen.
    Andy ist weg. Endgültig weg. Und Robert? Er hat ihm nicht gesagt, was er ihm sagen wollte: dass es richtig war, was er getan hat, richtig und mutig, und dass er ihn dafür bewundert.
    Und du, fragt Marita. Was wirst du machen?
    Ich ziehe weg von zu Haus, sagt Robert.
    Wohin?
    In meine Wohnung.
    Du hast eine Wohnung?
    Ja, sagt Robert. Eine der Frauen, die ich betreut habe, hat mir, als sie starb, ihre Wohnung vererbt.
    Marita sagt nichts. Sie kratzt mit dem Löffel den Zucker vom Boden der Kaffeetasse und leckt ihn ab.
    Und später?, fragt sie.
    Was später?
    Wenn du den Zivildienst hinter dir hast?
    Robert zuckt die Achseln.
    Ich denk, du willst Maschinenbau studieren, sagt Marita.
    Keine Ahnung, sagt Robert. Vielleicht mache ich auch was ganz anderes.

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