Die schönste Zeit des Lebens
vielleicht heute, bevor er zu Frau Welach fährt.
Den ganzen Morgen ist Robert nicht ganz bei der Sache. Er überlegt, ob er, wenn er schon einmal im Krankenhaus ist, sich unauffällig nach der Zeitungsausträgerin erkundigen soll. Vielleicht weiß Frau Abel etwas oder eine der Frauen, die mit ihr das Krankenzimmer teilen. Oder er schaut einfach in Frau Lehmanns Zimmer hinein, er kann sich in der Zimmernummer geirrt haben: Frau Abel?
Und dann? Das Einfachste wäre natürlich, die Stationsschwester zu fragen, wie es der Zeitungsausträgerin gehe, die mit dem Unfall, über die neulich in der Zeitung berichtet worden sei. Aber wenn sie dann sagt, er solle sie doch einfach besuchen: Zimmer zweihundertelf?
Herr Meinertz hat kleine weiße Schaumbläschen auf den Lippen, so wütend ist er. Er sitzt im Sessel und schnaubt und gestikuliert. Robert greift nach der Zeitung, nach der Fernbedienung für den Fernseher, nach der Schale mit dem Dörrobst, die auf der Kommode steht. Herr Meinertz schüttelt den Kopf und stampft mit beiden Füßen auf den Boden.
Ich weiß nicht, was Sie haben wollen, Herr Meinertz.
Schließlich erhebt sich Herr Meinertz, stapft vor Wut schnaufend in den schmalen Hausflur und kommt mit dem Telefonbuch zurück. Mit wutverzerrtem Gesicht hält er es Robert unter die Nase. Dann legt er es auf das Tischchen neben seinem Sessel und rührt es seltsamerweise nicht weiter an.
Soll ich Ihnen etwas einkaufen, Herr Meinertz?, fragt Robert.
Nein, nein, sagt Herr Meinertz. Das ist nicht nötig. Das kann Frau Behrens machen, wenn sie heute Nachmittag kommt.
Seine Wut ist schon wieder verflogen. Rückstandslos.
Aber wenn Sie so freundlich wären, mal nach der Spiegelbeleuchtung im Badezimmer zu schauen …
Im Badezimmer liegen auf dem Klodeckel eine Kneifzange, eine Kombizange, ein großer und ein kleiner Schraubenzieher. Offenbar hat Herr Meinertz sich mit seinen zittrigen Händen schon an der Leuchtröhre zu schaffen gemacht, denn die Plastikabdeckung hängt auf der einen Seite herunter.
Robert zieht an dem Bändchen, um den Schalter zu betätigen. Einmal, zweimal. Er dreht die Röhre in der Fassung hin und her, betätigt den Schalter erneut. Nichts. Er nimmt die Röhre heraus, geht ins Wohnzimmer.
Ich glaube, die Röhre ist kaputt. Soll ich Ihnen schnell eine neue kaufen?
Das wäre nett, sagt Herr Meinertz und kramt einen 10-Euro-Schein aus seiner Gesäßtasche. Aber gehen Sie zu Pollak schräg gegenüber. Und sagen Sie, dass Sie von mir kommen, dann werden Sie bevorzugt bedient.
Für den Besuch bei Frau Abel bleibt heute keine Zeit, weil bei Pollak die Neonröhren ausgegangen sind und Robert durch die halbe Stadt fahren muss, bis er die richtige Röhre bekommt. Auch am Dienstag und am Mittwoch klappt es nicht. Erst am Donnerstag fährt Robert ins Krankenhaus.
Frau Abel geht es nicht gut. Nicht wirklich schlecht, aber auch nicht gut. Sie fühle sich schwach, sagt sie. Dabei liege sie den ganzen Tag nur faul im Bett. Und beim Fernsehen schlafe sie sofort ein. Sie hat den rechten Arm in Gips, mit der Linken tastet sie nach Roberts Hand, drückt sie kurz. Sie lächelt ein tapferes, schmales Lächeln.
Das sind Sie, nicht wahr, sagt Robert auf das Bild über ihrem Bett zeigend.
Das war ich, sagt Frau Abel.
Und plötzlich funkeln ihre Augen, sie lacht in sich hinein.
Eine Artistin, die aus dem Bett fällt und sich den Arm bricht, wenn mein Vater das noch erlebt hätte, er hätte mir den Arsch verhauen.
Die beiden anderen Frauen im Zimmer, beide jünger als Frau Abel, kichern verstohlen. Sie haben das Kopfende ihrer Betten hochgestellt und lassen Robert nicht aus den Augen.
Ihre Großmutter, sagt die eine jetzt zu Robert gewandt, ist der gute Geist von Zimmer 203. Seit sie hier ist, haben wir immer was zu lachen.
Sie spricht in einem merkwürdig larmoyanten Ton, so als glaube sie selbst nicht recht an das, was sie sagt. Aber als sie jetzt ihre Bettnachbarin fragend anschaut, nickt die wie zur Bestätigung zweimal mit dem Kopf.
Eigentlich müsste Robert sie jetzt aufklären, dass er nicht Frau Abels Enkel ist, aber da spürt er, wie Frau Abel ihn am Ärmel zupft. Sie liegt da, den linken Zeigefinger auf ihrem spitzen Mund, ihre Augen funkeln vor Vergnügen. Sie sind Komplizen, Robert und sie. Klar, Robert weiß, wann er den Mund zu halten hat. Sollen die anderen beiden doch glauben, dass sie seine Großmutter ist, obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass das nicht stimmen kann, weil er Sie zu ihr
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