Die schönste Zeit des Lebens
den Büchern geschieht, wo die Wünsche mächtig sind und wie von selbst zur Erfüllung treiben. Einen seligen langen Augenblick lang hat er dem Geist vertraut, der, wenn wir Glück haben, aus unserem Leben eine Geschichte werden lässt, und auf geheimnisvolle Weise hat er alles richtig gemacht. Weil er gar nicht darüber nachgedacht hat, weil er es einfach hat geschehen lassen.
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DIENSTAG: MEINERTZ, WELACH , Klein, Sternheim. Für Robert mittlerweile Routine, auch die Wutanfälle von Herrn Meinertz und Frau Welachs kleine Tricks, mit denen sie Robert immer wieder für sich einzuspannen sucht. Als er nach der Mittagspause bei der netten Frau Klein klingelt, macht ihm eine Frau mittleren Alters auf.
Ah, Sie sind der junge Mann von der Altenhilfe. Richtig? Ich bin die Tochter.
In Frau Kleins Wohnzimmer sitzen um einen festlich gedeckten Tisch Frau Klein, ein Junge und ein Mädchen, sechs und zehn Jahr alt, schätzt Robert, und ein gemütlich aussehender Mittfünfziger, vermutlich der Schwiegersohn und Vater der Kinder. Zwei Stühle sind noch frei.
Setzen Sie sich, sagt Frau Klein, als Robert eintritt. Wir feiern Geburtstag.
Meine Mutter wird heute achtzig, ruft die Tochter aus der Küche.
Robert gratuliert und setzt sich auf einen der freien Stühle. Die Tochter bringt eine Kanne mit frischem Kaffee, schenkt Robert ein, tut ihm ein Stück Torte auf den Teller und setzt sich neben ihn. Die Kinder ihm gegenüber starren ihn an, verfolgen stumm jede seiner Bewegungen mit aufgerissenen Augen.
Herr Markmann, sagt Frau Klein, kauft für mich ein. Er ist mir eine große Hilfe.
Ja, wir wissen Bescheid, Mutter, sagt ihre Tochter.
Und er ist immer sehr freundlich, sagt Frau Klein.
Während Robert sich ein Stück von der Buttercremetorte in den Mund steckt, fragt der Schwiegersohn: Wie alt sind Sie?
Es dauert eine Weile, bis Robert, der den Mund voll hat, antworten kann.
Neunzehn, sagt er dann. Das heißt, genau genommen, werde ich nächste Woche neunzehn.
Und schon ein bisschen was von der Welt gesehen?
Nicht viel, sagt Robert. Aber vielleicht fahr ich diesen Sommer an die Adria.
Adria!
Frau Klein ist einmal an der Adria gewesen, auf dem Lido von Venedig. Vor dem Krieg, 1937 oder 1938 muss das gewesen sein. Als Kind mit ihren Eltern. Seitdem nicht mehr. Aber sie hat es nie vergessen: die Sonne, der Sand, das wunderschöne, weiße Hotel, die Lichter am Abend, die sich im Wasser spiegelten.
Venedig! Wenn Sie wiederkommen, müssen Sie mir unbedingt erzählen, wie es gewesen ist, sagt sie zu Robert.
Ja, sagt Robert.
Er sagt nicht, dass er, wenn er überhaupt fährt, nicht nach Venedig, sondern nach Kroatien fährt, wo es vermutlich ganz anders aussieht als am Lido von Venedig und wo es immer noch besonders billig sein soll, weil wegen des Krieges eine Zeit lang keine Touristen mehr dorthin gefahren sind.
Namibia, sagt jetzt der Schwiegersohn. Waren Sie schon einmal in Namibia?
Robert schüttelt den Kopf.
Wir waren im letzten Jahr dort, meine Frau und ich. Sprechen alle deutsch, im Hotel, in den Läden, in den Restaurants, am Fahrkartenschalter. In Windhuk gibt es sogar eine ostfriesische Teestube.
Er als Ostfriese, sagt der Schwiegersohn, habe da natürlich nicht vorbeigehen können. Tee mit Kluntje, blaue Porzellankanne, passende Tassen, alles wie zu Haus in Aurich. Aber dann die kalte Dusche: Der Tee habe irgendwie labberig geschmeckt. Also sei er in die Küche und habe die schwarze Küchenfrau gefragt, wie sie den Tee mache. Die habe auch ganz freundlich Auskunft gegeben: Kanne vorwärmen, dann den Tee in die Kanne und mit kochendem Wasser überbrühen, dreieinhalb Minuten ziehen lassen. Alles so weit okay. Und warum schmeckt er dann so labberig, habe er sich gefragt. In diesem Moment habe der Kellner durch die Klappe eine Bestellung reingereicht, und da habe es sich dann gezeigt, wo der Fehler lag.
Die hat doch glatt das Wasser zum Vorwärmen einfach in der Kanne gelassen, sagt der Schwiegersohn. Tee ins lauwarme Wasser, kochendes Wasser oben drauf. Tja, so kann das ja nichts werden. Ich hab ihr dann eine kostenlose Nachhilfestunde gegeben. Wasserknappheit hin und her, hab ich gesagt. Wenn schon Ostfriesentee, dann aber richtig. Am liebsten möchte ich in diesem Winter wieder hinfahren, um zu sehen, ob meine kleine Nachhilfestunde gefruchtet hat.
Robert ist heilfroh, als er endlich gehen kann. Aber an der Tür fängt ihn die Tochter noch einmal ab. Ihre Mutter, sagt sie, habe es schon immer verstanden,
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